Film

Ein Nigerianer im Schatten des Erzbergs

Reis kochen und Rasieren zwischen Reifentürmen: Der 35-jährige Cliff in seiner Werkstatt.
Reis kochen und Rasieren zwischen Reifentürmen: Der 35-jährige Cliff in seiner Werkstatt. (c) Filmgarten
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Sebastian Brameshubers Dokumentarfilm „Bewegungen eines nahen Berges“ porträtiert einen nigerianischen Automechaniker in der Steiermark mit poetischer Gelassenheit. Und übt subtil Kritik an Wirtschaftskettenhaft.

Der Motor hängt am Gabelstapler. Langsam rinnt Öl daraus in den Auffangkübel. Cliff steht ein paar Schritte weiter und sieht zu. Er hat keine Eile. Die Zeit in seiner Werkstatt fließt gemächlich. Hier, unweit der steirischen Alpen, umgeben von waldigen Hügeln, hat sich der 35-jährige Nigerianer eine Existenz aufgebaut, die für österreichische Verhältnisse regelrecht anachronistisch wirkt. Er sammelt alte Autos, repariert sie, verkauft sie weiter, extrahiert Ersatzteile. Alles im Alleingang. Ein Händler und Mechaniker, ein Handarbeiter. Im Bauch der Karossen schürft er nach wertvollen Rohstoffen. Fast wie die Kumpel, die schon vor hundert Jahren im nahe gelegenen Erzberg, diesem monumentalen Industrialisierungssymbol, Tagbau betrieben.

Der 38-jährige Filmemacher Sebastian Brameshuber, ein gebürtiger Gmundner, lernte Cliff 2011 kennen, bei Dreharbeiten an seinem Ebenseer Teenager-Porträt „Und in der Mitte, da sind wir“. Fasziniert vom Daseinsmodus des Autohändlers und seiner damaligen Kollegen widmete er ihnen den Kurzfilm „Of Stains, Scrap & Tires“ (2014). Nun legt er mit „Bewegungen eines nahen Berges“ eine längere Beobachtung nach: gleichsam eine organische Progression.

Man versteht, warum sich Brameshuber dazu verleitet sah. Cliffs Seinsweise und der Schauplatz seiner Tätigkeit bergen berückende Spannungen zwischen körperbetonter Archaik und globalkapitalistischer Moderne, schummrigen Mythen und konkreten ökonomischen Zusammenhängen. „Bewegungen eines nahen Berges“ versucht, diese Widersprüche ästhetisch zu vermitteln – über geduldige Blicke und eine poetische Bildsprache, die mehr andeutet als ausspricht, das Gezeigte wirken lässt.

Die Metallorgane der Pkw-Kadaver

So sieht man Cliff über weite Strecken des kompakten, aber dennoch luftigen Films schlicht bei der Arbeit zu. Spürt nach, wie er in seiner großen, verglasten Garage – einer aufgelassenen Fabrikhalle – schraubt und windet, Pkw-Kadaver zerwirkt, mit Hämmern und Feilen ihre Metallorgane entnimmt und diese wie Beinschinken in Folie einwickelt, alles mit der Gelassenheit eines Routiniers. Wie er zwischen Reifentürmen und Autotüren Pause macht, Reis kocht und den Grill anheizt, sich einen abgetrennten Seitenspiegel zum Rasieren vors Gesicht hält.

Stille Würde liegt in diesem gemessenen Lebenswandel. Unwillkürlich erinnert er an einen anderen Cliff: Brad Pitts Stuntman Cliff Booth aus Quentin Tarantinos „Once Upon a Time . . . in Hollywood“, auch er Sinnbild eines genügsamen und bodenständigen Berufsstandes. Jener Cliff hatte einen Hund. Dieser füttert einmal eine Katze.

Doch sein Tagwerk hat etwas Einsames. Zuweilen wirkt Cliff wie ein melancholischer Eremit. Menschenkontakt hat er nur mit Kunden (Preise sind immer Verhandlungssache) und mit seinem einstigen Geschäftspartner Magnus, dem jedoch etwas Gespenstisches anhaftet: Er spukt auch durch sporadisch eingefügte 16-mm-Aufnahmen, die für „Of Stains, Scrap & Tires“ gedreht wurden und die Zeitlichkeit des aktuellen Films verunklaren.

Aller blechernen Materialität zum Trotz wird man das Gefühl nicht los, dass Cliff nicht wirklich da ist – dass seine Präsenz in Österreich einen randständigen Globalisierungspartikel darstellt, der jeden Moment verpuffen könnte. Gegen Ende fährt er nach Nigeria, um errungene Ersatzteile zu verkaufen. Auch dort scheint er kein wirkliches Zuhause zu haben: Etwas treibt ihn weg vom Gewusel des Marktes, hinaus in den wuchernden, zirpenden Wald.

Das ewige Eisen – ein Fluch?

In dieser unbehaglichen Anmutung von Heimat- und Ortlosigkeit, von verkappter Wirtschaftskettenhaft, liegt die Gesellschaftskritik des Films, der frei ist von ausdrücklichen Botschaften. Zweimal erklingt darin die Legende vom Wassermann, der die Erzbergleute, die ihn fingen, einst vor die Wahl gestellt haben soll, was sie als Pfand für seine Freiheit erheischten: Einen ephemeren Goldfuß, ein vergängliches Silberherz oder einen immerwährenden Eisenhut? Ihre Entscheidung fiel auf das ewige Eisen. Am Ende von „Bewegungen eines nahen Berges“ hängt eine leise Frage in der Luft: War dieses Votum Segen oder Fluch?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2019)

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