Parlamentswahl in der Schweiz

Die grüne Welle erfasst nun auch die Eidgenossen

Auch die Schweiz schwimmt auf der grünen Welle: Grünen-Chefin Rytz (r.) freut sich über das Ergebnis.
Auch die Schweiz schwimmt auf der grünen Welle: Grünen-Chefin Rytz (r.) freut sich über das Ergebnis.(c) APA/AFP/FABRICE COFFRINI
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Bei der Parlamentswahl in der Schweiz haben die grünen Parteien ein historisch gutes Ergebnis eingefahren.

Bern. Auch die Schweiz erlebt jetzt ihren politischen „Greta“-Moment: Bei der Parlamentswahl am Sonntag gelang den beiden grünen Parteien  ein historischer Durchbruch. So wurde die Grüne Partei zum ersten Mal viertstärkste Kraft, auch die kleineren, bürgerlichen Grünliberalen legten zu. Die Grünen könnten nun den Anspruch auf Regierungsbeteiligung stellen – und somit die seit Jahrzehnte währende Regierungszusammensetzung ordentlich durcheinanderwirbeln. Daran wird auch nichts ändern, dass die konservative Volkspartei (SVP) stärkste Kraft bleibt.

Die linksgerichteten Grünen legten bei der Nationalratswahl am Sonntag laut offiziellem Wahlergebnis um rund sechs Punkte auf 13,2 Prozent zu. Die Grünliberalen zogen mit einem Plus von gut drei Punkten und 7,8 Prozent ins Berner Parlament ein. Die rechtsgerichtete Schweizerische Volkspartei (SVP) verlor an Rückhalt, blieb mit 25,6 Prozent der Stimmen aber stärkste Kraft. Die SVP büßte im Vergleich zur letzten Wahl knapp vier Punkte und damit zwölf Mandate ein. Sie stellt im neuen Nationalrat mit mehr als 50 Abgeordneten aber weiterhin die größte Gruppierung. Die Grünen gewannen 17 Abgeordnete hinzu und sind mit 28 Mandaten fortan viertstärkste Kraft im Nationalrat. Die Grünliberalen legten um neun Mandate auf 16 Abgeordnete zu.

Die Sozialdemokratische Partei (SP) kam als zweitstärkste Kraft auf 39 Sitze, die rechtsliberale FDP auf 29 Sitze und die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) auf 25 Sitze. Alle drei Parteien verbuchten Stimmverluste.

„Historischer“ Umbruch bei Wahl im Bundesrat?

Der „historische“ Umbruch könnte aber im Dezember erfolgen, dann wird der Nationalrat den Bundesrat (die Regierung) wählen. Die sieben Bundesräte („Minister“) werden seit 60 Jahren von SVP, CVP, Sozialdemokraten und FDP gestellt. Doch zusammen kommen Grüne und GLP nun auf 20 Prozent und bilden das zweitgrößte Lager im Nationalrat hinter der SVP. Ziehen die Ökoparteien an einem Strang, wird man sie bei der Regierungsbildung nur schwer übergehen können. Konkret dürfte der zweite FDP-Bundesratssitz wackeln, jener des amtierenden Außenministers.

Grünen-Chefin Regula Rytz wollte sich am Sonntag nicht zu einem Anspruch auf einen Bundesratssitz äußern, auch GLP-Chef Jürg Grossen ließ die Frage offen. Rytz sagte, nach den deutlichen Zuwächsen für ihre Partei, es sei nun an der Zeit, über eine "neue Zauberformel" zu diskutieren. Ab Montag würden dazu Gespräche geführt.
Die Grünen profitierten freilich von der „Klimawelle“, die in den letzten Wochen und Monaten auch die Schweiz erfasst hatte – nicht zuletzt wegen des Engagements der schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg. Bis auf die SVP leistete es sich denn auch keine Partei, die Klimadebatte auszusparen. Die Grünen punkteten vor allem bei jungen Wählern, die mit den „Fridays for Future“-Protesten sympathisieren. Aber auch Wechselwähler stimmten diesmal für Grün.

Die SVP blieb nur dank ihrer Stammwähler stärkste Partei. Allerdings mobilisierten die Konservativen diesmal nicht mit dem Thema Sicherheit und Migration. Verluste verzeichneten auch die Sozialdemokraten. In der Wirtschaftsmetropole Zürich etwa, wo Rot-Grün seit jeher etabliert ist, verloren die Sozialdemokraten Stimmen an die bürgerlichen Grünliberalen. Die FDP wurden wegen interner Streitereien abgestraft.
Entgegen aller Prognosen gewannen hingegen die Christdemokraten leicht dazu. Sie erhielten Stimmen aus der bürgerlichen Mitte, die einen Linksrutsch auf Regierungsebene befürchtet hatte.

Erfolg des Frauenstreiks

Auffallend war das landesweit gute Abschneiden von Frauen, sodass der Politikwissenschafter Lukas Golder im Schweizer Fernsehen sogar von einer „Frauenwahl“ sprach. In Obwalden und Zug wurde sogar Geschichte geschrieben: Die beiden Alpenkantone werden erstmals seit der Einführung des Frauenstimmrechts in den 1970er Jahren von einer Frau im Nationalrat vertreten sein. Der Kanton Uri wählte zum ersten Mal eine Frau in den Ständerat. Beobachter verwiesen auf die Bewusstseinsbildung durch den Frauenstreik, bei dem im Juni Hunderttausende Schweizerinnen für mehr Gleichberechtigung auf die Straße gegangen waren.

Auf einen Blick

Erstmals gelang es den Grünen, knapp die regierende Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) zu überholen – damit hat erstmals seit Jahrzehnten eine Oppositionskraft mehr Stimmen als eine der vier Regierungsparteien. Die Schweiz wird seit 60 Jahren von den praktisch gleichen vier größten Parteien nach dem Konsensprinzip regiert. Diese „Zauberformel“ dürfte nun gehörig ins Wanken geraten, insbesondere, wenn die Grünen mit der zweiten Grün-Partei an einem Strang ziehen sollten: Sie könnten bei einer Regierungsbildung nur schwer umgangen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2019)

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