Niemand weiß, ob der Krieg weitergeht. Ein Besuch in Tal Dschihan und Qamischli, wo Angst und Ungewissheit herrschen.
Entlang abgeernteter Getreidefelder führt eine schmale Teerstraße ins Dorf Tal Dschihan, das aus der Ebene herausragt. Jeder Meter bringt die türkische Grenzwand aus tonnenschweren, weißgrauen Betonblöcken bedrohlich näher. Die Wachtürme der türkischen Armee sind zu erkennen, und es ist ungewiss, ob ihre Scharfschützen nicht doch das Feuer eröffnen.
Washington und Ankara haben zwar am Donnerstag eine fünftägige Waffenruhe in Nordsyrien vereinbart, die am Dienstag um 21 Uhr enden wird. Aber die türkische Armee und ihre überwiegend islamistischen syrischen Hilfstruppen hielten sich nicht daran. Die Offensive der Türkei rollte weiter, und ihre radikal-islamischen Verbündeten drangen in nordsyrisches Territorium ein. Am Sonntag fiel ihnen die Grenzstadt Ras el-Ain in die Hände, nachdem die nordsyrischen Truppen abziehen mussten. Hier soll zunächst die 120 Kilometer lange Schutzzone enden, die später auf mehr als 440 Kilometer ausgeweitet werden soll, wie aus dem türkischen Generalstab verlautete.
In Tal Dschihan ist die Grenze nur 400 Meter entfernt, hinter der monströsen Grenzmauer lugen türkische Dörfer hervor. In Tal Dschihan ist der Dorfplatz mit der Kirche und der von Maschinengewehrkugeln durchsiebten Wand und dem Pfarrhaus, in das eine Rakete ein Loch geschlagen hat, menschenleer. Es herrscht eine eigentümliche Stille, in der nur das Vogelgezwitscher, das Hühnergegacker und die eigenen Schritte zu hören sind. Irgendwo läuft ein Fernseher, vor einer Haustür liegen Schuhe.
„Schreckliches durchgemacht“
Hier wohnt Fasel Naif Safak und seine achtköpfige Familie, freudig überrascht über den unerwarteten Besuch. Auf der Terrasse werden Plastikstühle zusammengestellt, eine Tochter kocht. Im Wohnzimmer sitzt die Mutter mit dem Enkel auf einer Decke auf dem Boden. Und im Fernsehen laufen Nachrichten rund um die Uhr. „Wir haben Schreckliches durchgemacht“, berichtet Safak, ein netter, älterer Herr mit akkurat geschnittenem Schnurrbart. „Tag und Nacht haben uns die Türken beschossen, mit Mörsern, Duschka-Maschinengewehren und Raketen.“ Überall habe es gekracht und gedonnert, erzählt das Familienoberhaupt, immer noch mit Entsetzen in den Augen.