Walk of Häme

Im Wilden Osten

Oder: Warum fraktionslose Abgeordnete in Österreich so wild sind.

Nicht nur in, sondern auch über Parlamente wird viel geredet dieser Tage. Was in einer Demokratie ja nicht das Schlechteste ist. Die Abgeordneten in Brüssel bzw. Straßburg haben drei EU-Kommissare abgelehnt, jene in London den Brexit (zumindest so halb), und die Mandatare in Wien hatten am Mittwoch quasi ersten Schultag.

Der Brexit hat zudem dafür gesorgt, dass Politikinteressierte Live-Übertragungen aus dem britischen Unterhaus konsumieren wie sonst Sportfans Fußballspiele aus der englischen Liga. Und auch in der Politik begonnen haben, das da und dort Gebotene miteinander zu vergleichen. Über die rhetorischen Unterschiede mache sich jeder selbst ein Bild, baulich gilt: Während in Österreich zwischen Abgeordneten und Regierungsbank ein großer Abstand besteht (das Präsidium thront über allem), gibt es im Unterhaus in London diese klare Trennung nicht. Der Premierminister ist mittendrin, bei den tumultartigen Brexit-Debatten oft fast beängstigend nahe. Auch der Speaker, dessen letzte Brexit-Krawatte grauenhaft war, ist nur einer unter Gleichen. Im Fußball ist das ganz ähnlich: Stadien auf der Insel bringen Fans und Spieler ganz eng zusammen, in Österreich ist die traditionelle Trennung zwischen Tribüne und Spielfeld meist noch aufrecht. Zufall?

Ziemlich rigoros wird in Wien auch eine Neo-Abgeordnete (Achtung! Nicht Neos-Abgeordnete), die keinem Parlamentsklub angehört, von allen anderen getrennt. In der letzten Reihe sitzt sie, ganz allein in einer Bank. In der Schule wurde so üblicherweise gestraft. Dazu passt auch die Bezeichnung „wilde Abgeordnete“, die im Nationalrat üblich ist, im Gegensatz zum in Deutschland wertfreien Begriff fraktionslose Abgeordnete.

Wobei die Wertung „wild“ im österreichischen Deutsch viele Schattierungen hat. An den Wilden Westen denkt man. Eine wilde Henne oder ein wilder Hund zum Beispiel hält sich wenig an Regeln, wird aber dennoch für ihre/seine Eigenständigkeit bewundert. Im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln (Wildreis, wildes Basilikum . . .) mag man das Unverfälschte. Die wilde Ehe ist zwar nicht ganz gesellschaftskonform, man unterstellte ihr aber immerhin keine Langeweile. Bei wilden Tieren gilt es Abstand zu halten. Das alles schwingt bei wilden Abgeordneten mit. Da ist man doch lieber im Klub. Zwang inklusive.

florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2019)

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