Kampf gegen Fake News

Freiwillige Selbstkontrolle funktioniert nur bedingt

Onlinekonzerne haben die Problematik der gezielten Desinformation zwar erkannt, stellt die EU-Kommission fest. Doch die in Eigenregie gesetzten Gegenmaßnahmen seien nicht ausreichend.

Brüssel. Es war vermutlich eine der letzten öffentlichen Tätigkeiten von Julian King als Großbritanniens EU-Kommissar für die Sicherheitsunion: Am Dienstag präsentierte King gemeinsam mit seinen Brüsseler Kolleginnen Mariya Gabriel (Digitales) und Věra Jourová (Justiz) den ersten Jahresbericht der freiwilligen Selbstkontrolle im Internet. Vor gut einem Jahr hatten sich die großen Onlinekonzerne Facebook, Google, Twitter, Microsoft und Mozilla dazu verpflichtet, mehr Eigeninitiative bei der Bekämpfung von Falschmeldungen und automatisierter Propaganda zu zeigen. Der gestrige Bericht war die erste Bilanz der Aktion, Anfang 2020 soll eine ausführliche Bewertung vorliegen.

Welches Fazit zieht die Brüsseler Behörde nach einem Jahr? Man ist zwar über die Kooperation erfreut und nimmt zur Kenntnis, dass die digitalen Plattformen das Ausmaß des Problems erkannt haben, doch was die tatsächlichen Lösungen des Fake-News-Problems anbelangt, scheint der Weg noch weit zu sein. Die an die Kommission übermittelten Berichte geben demnach nur wenig Auskunft darüber, „welche Wirkung die freiwilligen Verpflichtungen“ gezeitigt hätten, heißt es in der gestrigen Stellungnahme der Kommission. Hinzu kommt, dass die Konzerne unabhängige Kontrollinstanzen nach wie vor auf Abstand halten: „Der bisher bereitgestellte Zugang zu Daten entspricht noch immer nicht den Bedürfnissen der unabhängigen Forscher“, stellten Gabriel, Jourová und King fest.

Das dürfte allerdings in der Natur der Sache liegen. Denn für Google, Facebook und Co. sind die von ihren Usern generierten Daten ein wertvoller Rohstoff, aus dem Werbeeinnahmen generiert werden. Angaben darüber, wer was wie oft online abruft und nach welche algorithmischen Regeln Daten verarbeitet und Inhalte verbreitet werden, sind gut gehütete Betriebsgeheimnisse.

In der Bewertung betont die EU-Kommission nichtsdestotrotz, dass sich die Transparenz bei den beteiligten Unternehmen und Verbänden verbessert habe. Die monatlichen Propagandaberichte rund um die Europawahl hätten auch die Integrität der Onlinedienste erhöht – ein detaillierter Report zur EU-Wahl 2019 wird im Laufe der kommenden Monate präsentiert. Die Fortschritte der Beteiligten seien jedoch sehr unterschiedlich. Hat der auf Freiwilligkeit basierende Ansatz eine Zukunft? Eher nicht. Eines der großen legislativen Vorhaben, das die kommende EU-Kommission von Ursula von der Leyen bis Ende 2020 in Angriff nehmen wird (und das die designierte Kommissionspräsidentin explizit in ihrer „Agenda für Europa“ erwähnt hat), ist ein Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act), das „bessere Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienste und Produkte“ schaffen soll.

Verbindliches Regelwerk

Für Facebook, Google und Co. verheißt der Digital Services Act wenig Gutes: Angesichts der schlechten Erfahrungen mit dem Einfluss von Fake News und gezielt verbreiteter Desinformation auf Wahlen (Stichwort Brexit und Donald Trump) dürfte die Kommission vom Prinzip der Freiwilligkeit abrücken und den Konzernen konkrete Vorschriften machen. Die Zuständigkeit für die Umsetzung in der Brüsseler Behörde dürften sich Vizepräsidentin Margrethe Vestager und der Kommissar für Binnenmarkt (vermutlich der Franzose Thierry Breton) teilen. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2019)

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