Österreichisches Kabarettarchiv auf Herbergssuche

oesterreichisches Kabarettarchiv Herbergssuche
oesterreichisches Kabarettarchiv Herbergssuche(c) APA (FILMARCHIV AUSTRIA)
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Nach zehn Jahren muss das Österreichische Kabarettarchiv den Betrieb einstellen, wenn niemand das wertvolle Kulturgut retten will. Soeben wurde die (letzte) Ausstellung "Bronner, Merz, Qualtinger & Co." eröffnet.

Waun mi des Reisebüro net vermittelt hätt...“, jammerte in den 1950er-Jahren Helmut Qualtinger. Nicht nur dieser Satz aus den legendären Travnicek-Dialogen (mit Gerhard Bronner) ging in den Zitatenschatz ein, auch Zeilen aus dem „Bundesbahn Blues“ oder dem „G'schupften Ferdl“ sind zu geflügelten Worten geworden, um einmal nur bei Qualtinger zu bleiben. Auch heute sorgen Kabarettisten zumindest für kurze Zeit für eine Bereicherung der Sprache, man denke nur an Robert Palfraders „Er muss auch ein bissl brav sein“.

Nicht nur sprachlich ist das Kabarett – das im Gegensatz zu seinem deutschen Pendant stets wie „Cabaret“ gesprochen wird, aber nie Cabaret ist – Teil der österreichischen Identität. Und das immerhin seit über 100 Jahren: Am 16. November 1901 eröffnete der Autor und Theaterkritiker Felix Salten im Theater an der Wien das „Jung-Wiener Theater zum lieben Augustin“, ab 1906 entwickelte sich das literarische Kabarett in Wien.

Doch in welche Sparte im Bereich „Kunst und Kultur“ kann man das Kabarett einordnen? „Kabarett ist Theater, Kabarett ist Literatur, Kabarett ist Musik und noch viel mehr“, sagt die Leiterin des Österreichischen Kabarettarchivs (ÖKA), Iris Fink. Sie berichtet der „Presse“ vom definitiven Beschluss des Kunstministeriums vor zwei Jahren, dass die Förderung von Kabarett bzw. des Kabarettarchivs nicht in seine Verantwortung fällt. Auch das Wissenschaftsministerium fühlt sich nicht zuständig, obwohl im einzigen Kabarettarchiv Österreichs reichlich geisteswissenschaftliche Forschung passiert – und dokumentiert wird, wie die Liste der über 50 Diplomarbeiten und Dissertationen beweist (berühmtester Verfasser: Alfred Dorfer „Totalitarismus und Kabarett“, 2006).

Kulturelles Erbe der Kleinkunst bewahren

Blättert (oder klickt) man weiter durch die Sammlungen und Publikationen des Kabarettarchivs, kommt man aus dem Staunen kaum heraus: Videos, Tonträger, Zeitungsberichte seit 1900, Noten- und Texthefte, Programmhefte und Plakate, Nachlässe von verstorbenen und Vorlässe von lebenden Kabarettisten liegen wohl sortiert bereit.

Zehn Jahre lang haben Fink und der Kulturethnologe und Kabarettexperte Hans Veigl diese Sammlung aufgebaut und bieten die Schätze des österreichischen Kulturguts zur freien Einsicht an bzw. organisieren ein bis zwei Ausstellungen pro Jahr: von Budapest über die Steiermark und Salzburg bis nach Mainz. Diese Woche startet die vielleicht letzte Ausstellung: „Bronner, Merz, Qualtinger & Co.“ zeigt das Erfolgsensemble der 1950er-Jahre, die mit „Brettl vor'm Kopf“, „Blattl vor'm Mund“, „Dachl über'm Kopf“ oder „Hackl vor'm Kreuz“ Kabarett erstmals multimedial präsentieren konnten (Radio, Schallplatten, Zeitungskolumnen und Fernsehen). Ort der Ausstellung ist das kleine Kabarettarchiv in der Gemeinde Straden südlich von Graz. „1700 Einwohner, vier Kirchen und wir mittendrin“, sagt Fink. Hier hatte das Archiv seit 2004 eine neue Heimat gefunden, nachdem es zuvor in Graz aufgebaut wurde.

Den Bedarf einer zentralen Dokumentationsstelle für Kabarett in Österreich ortete Fink bereits bei ihrer eigenen Diplomarbeit: „Es gibt zwar Bestände in verschiedenen Archiven und Bibliotheken. Aber die wurden kaum aufgearbeitet, weil sie nicht in die Kernkompentenz der jeweiligen Institution fallen“, sagt Fink. Im Jahr 2000 hat sich das geändert, mit Hilfe der Stadt Graz und dem Gedanken „Warum soll immer alles in Wien sein?“ konnte der Verein sein Archiv in der Grazer Annenstraße eröffnen und sich der „systematischen Dokumentation von Satire in all ihren Erscheinungsformen“ widmen. Somit wurde eine Lücke im deutschsprachigen Raum geschlossen, denn Deutschland und die Schweiz verfügen schon längst über zentrale Kabarettarchive, in denen das kulturelle Erbe der Kleinkunst bewahrt wird.

Ausgerechnet das Jahr der Kulturhauptstadt Graz war der Todesstoß für das Archiv in der Stadt: Nach 2003 wurden die Subventionen gestrichen und es wanderte in die Marktgemeinde Straden (die Finanzierung übernahm größtenteils das Land Steiermark). Nun steht das Kabarettarchiv bald wieder ohne Räume da, denn diese werden ab Herbst von der Gemeinde anderweitig verwendet: Das ÖKA ist derzeit auf dringender Herbergssuche, sonst muss es heuer im Herbst zusperren.

Warum nicht die ohnehin gut verdienenden Kabarettisten zur Rettung einspringen, wird Fink immer wieder gefragt. Sie schmunzelt darauf und meint, ob ein Otto Schenk dafür zahlt, dass ein Theaterarchiv geführt wird, oder ein Peter Turrini, dass es Literaturhäuser gibt?

„Jede Landeshauptstadt hat ein Literaturhaus. Die werden von Landeskulturabteilungen und vom Kultur- und Kunstministerium gefördert und tun genau dasselbe, was wir im Bereich Kabarett tun“, ist ihre Antwort auf die Frage, wozu Österreich überhaupt ein Kabarettarchiv nötig hat. Für den subventionslosen Kabarettbetrieb gibt es eben keine Abteilung im Bund, die nun als Retter einspringen könnte. Da hilft es auch nicht, dass – auch von politischer Seite – die Bedeutung von Kabarett immer und immer wieder betont wird. Zuletzt erlebte auch die Lehrveranstaltung „Kabarett in Österreich“ am Institut für Theaterwissenschaften der Uni Wien einen Ansturm von Studierenden. „Es gab 264 Anmeldungen, aber wir haben nur 80 Plätze. Der Zusatztermin im Juli war auch sofort ausgebucht“, so Fink.

Abwanderung nach Deutschland?

Was passiert im schlimmsten Fall, wenn das Kabarettarchiv zusperrt? „Wenn die Sammlung in Österreich bleibt, befürchten wir, dass sie aufgeteilt wird. Doch das deutsche Kabarettarchiv in Mainz würde die Sammlung geschlossen übernehmen, aufstellen und fachlich weiter betreuen“, sagt Fink. Aber noch gibt sie die Hoffnung nicht auf, dass eine finanziell abgesicherte Lösung die Auflösung abwehren kann.

Und auf den Kommentar, dass die Gemeinde Straden nun eine Besonderheit weniger haben wird, zitiert sie Merz und Qualtinger aus „Festivalpurgisnacht“: Der Bürgermeister sagt: „Jeder Ort hat etwas. Man muss es nur finden. Was haben wir Besonderes?“ Antwort vom Sekretär: „Zwei Dorftrotteln.“

Auf einen Blick

Iris Fink (* 1966) leitet seit 2000 das Kabarettarchiv, derzeit in der Gemeinde Straden (Steiermark). Die Geschichte des österreichischen Kabaretts ist dort von seinen Anfängen ab 1901 dokumentiert und in Publikationen zusammengefasst.

Die Ausstellung „Bronner, Merz, Qualtinger & Co.“ läuft bis 26. Oktober (Eintritt frei). www.kabarettarchiv.at [privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2010)

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