Indien

Smog als „fünfte Jahreszeit“ in Delhi

(c) REUTERS (DANISH SIDDIQUI)
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Die Regierung geht mit Fahrverboten, Gesichtsmasken und der Schließung von Schulen gegen die immense Luftverschmutzung vor, die stärker ist als in China.

Wien/Delhi. Als Angela Merkel mit ihrem halben Kabinett jüngst zu Regierungskonsultationen mit Premier Narendra Modi nach Indien reiste, machte sie Bekanntschaft mit der „fünften Jahreszeit“ in Delhi. Beim Empfang waren das Rote Fort und das India Gate, die Wahrzeichen der Hauptstadt, nur schemenhaft zu erkennen.

Es herrschte dicke Luft in Delhi: Die Stadt war in dichten Smog gehüllt, wie er neuerdings typisch ist für diese Jahreszeit. Überschreiten die Grenzwerte für Feinstaub am Subkontinent die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon um das Zehnfache, so überbieten sie im Herbst die Negativrekorde – bis zum 30-Fachen.

Längst ist der Smog in Delhi schlimmer als in Peking, und von den 20 am schlimmsten verschmutzten Städten der Welt liegen laut WHO 14 in Indien. Der Smog ist im Norden Indiens zum ständigen Begleiter geworden: Die Augen brennen, der Hals kratzt, die Menschen – insbesondere die Kinder und die Älteren – haben Atemprobleme. Für Arvind Kejriwal fühlt sich der Zustand an „wie in einer Gaskammer“, wie es der Chefminister der Hauptstadtregion mit einer unsensiblen Metapher routinemäßig beschreibt.

Abgefackelte Felder

Wer es sich leisten kann, entflieht dem Smog in den Zweitwohnsitz am Fuß des Himalaya. Viele aus der Mittelschicht stellen Luftfilter in der Wohnung auf. Die Behörden raten den Menschen, zu Hause zu bleiben und keinen Sport im Freien zu betreiben. Die Bewohner Delhis trauen den öffentlichen Messstellen nicht mehr – allein jene der US-Botschaft galt als vertrauenswürdig, bis ein indisches Amt sie zwang, sie abzubauen, wie es in diplomatischen Kreisen heißt.

Delhi greift indessen zu drastischeren Maßnahmen. In der Vorwoche verteilten die Behörden fünf Millionen Gesichtsmasken an Schulen im gesamten Land, bis sie zuletzt für einige Tage geschlossen blieben. Zudem führte Delhi – wie vor einigen Jahren – ein kurzfristiges Fahrverbot für Autos ein: Alternierend ist das Fahren mit geraden und ungeraden Kennzeichen untersagt. Bei der Premiere hatte das Verbot jedoch nur mäßigen Erfolg: Die Staus gingen zurück, die Umweltverschmutzung nahm aber nicht im selben Ausmaß ab.

Denn das erhöhte Verkehrsaufkommen in Delhi ist nur ein Teil des Problems. Dazu kommen Schadstoffpartikel der Baustellen, Kohlendioxidemissionen von Mülldeponien und durch das Abfackeln abgeernteter Felder der Nachbarprovinzen nach Umstellung der Erntesaison. Zusätzlich begünstigt der Himalaya im Norden Indiens die Staulage in der Ebene um Delhi.

Fahl schimmerte die Sonne beim Merkel-Besuch durch die Smogdecke, während die deutsche Kanzlerin eine solarbetriebene U-Bahn-Station besichtigte. Sie sagte eine Mrd. Euro für den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel zu – für den Austausch von Diesel- gegen Elektrobusse. In Delhi hoffen sie vorerst auf Regen. (vier)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2019)

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