Ümit Vural: „Eine große Moschee pro Bundesland“

IGGÖ-Präsident Ümit Vural vor einem Brunnen, der zum 70. Geburtstag des Gründers und ersten Präsidenten, Ahmad Abdelrahimsai, errichtet wurde.
IGGÖ-Präsident Ümit Vural vor einem Brunnen, der zum 70. Geburtstag des Gründers und ersten Präsidenten, Ahmad Abdelrahimsai, errichtet wurde.(c) Clemens Fabry
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Anlässlich des Jubiläums „40 Jahre Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ will Präsident Ümit Vural den Islam stärker als Teil des Landes positionieren, dazu Imame als Vermittler ausbilden und langfristig auch repräsentative Moscheen errichten.

Die Koalitionsverhandlungen laufen, was wünschen Sie sich von einer neuen Bundesregierung?

Ümit Vural: Ohne jetzt irgendwelche parteipolitischen Präferenzen zu nennen, wünsche ich mir eine tragfähige Regierung, die sich der Ängste und Sorgen der Menschen annimmt und die auch den Muslimen vermittelt, dass sie Teil des großen Ganzen sind.

Haben Sie das bei der vorigen Regierung vermisst?

Ja, das haben wir. In den letzten Jahren sind Gräben aufgerissen worden und es ist unsere Verantwortung, diese Gräben wieder zuzuschütten, indem wir Lösungen erarbeiten und gegen Fanatismus und Extremismus jeder Art ankämpfen.

Es gibt auch ein Erbe der vorigen Regierung, etwa das Kopftuchverbot. Da haben Sie ja eine Klage angekündigt.

Wir sind gegen Zwang, wir sind gegen Unterdrückung, weil das dem Fundament der Religion widerspricht. Das ist eine innermuslimische Aufgabe. Und nach außen haben wir gesagt, dass Verbote ein destruktiver Weg sind. Leider wurden unsere Appelle nicht gehört. Nun haben wir uns gewissenhaft vorbereitet, haben Gutachten eingeholt und werden Ende November, Anfang Dezember den Verfassungsgerichtshof anrufen können.

Eine andere Maßnahme haben Sie ja schon vor den VfGH gebracht – dass statt „Islam“ in den Zeugnissen „IGGÖ“ steht – wo ist da eigentlich das Problem?

Wir sind vielfältig, manche sind sunnitisch, manche schiitisch. Und wir fühlen uns unter dem Begriff Islam identifiziert. Jeglicher Zusatz widerspricht unserer Tradition.

In der Glaubensgemeinschaft gibt es sehr wohl eine Strukturierung, etwa nach Sunniten und Schiiten, dazu noch ethnisch geprägte Gemeinden.

Die letzten 40 Jahre waren geprägt vom Slogan „Integration durch Partizipation“. Ich möchte die nächsten 40 Jahre mit dem Slogan „Einheit in Vielfalt, Stärke im Zusammenhalt“ starten. Ich möchte vorleben, dass es kein Widerspruch ist, zu sagen: Ich bin Österreicher und ich bin Muslim. Dieser Weg muss mit dem Begriff Islam gekrönt werden. Aber es gibt auch eine juristische Motivation: Wir sind überkonfessionell. Wir haben Sunniten und Schiiten unter einem Dach. Ein Teil ist ausgetreten und hat sich Alevi genannt, ein kleiner Teil ist eine Bekenntnisgemeinschaft, die Schia. Aber dass sich neue Gemeinschaften gründen, kann doch nicht dazu führen, dass wir uns ändern müssen.

Ist das nicht ein rein formaler Akt?

Ich finde, dass das für uns Muslime wichtig ist. Wir haben eine Geschichte in Österreich, die uns in Europa einzigartig macht. Das ist die Tradition, in der wir stehen.

Laut einer Studie der Uni Salzburg sagen 72 Prozent der Bevölkerung, dass Muslime keine kulturelle Bereicherung darstellen, und 45 Prozent sind für eine Einschränkung der Rechte der Muslime. Eine wahnsinnig erfolgreiche Marke ist Islam derzeit also nicht.

Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie es so weit kommen konnte. Darum vermittle ich auch unseren Imamen, dass unsere Welt nicht nur aus unserer Moschee besteht, wo wir versuchen, unsere Gläubigen zufriedenzustellen. Wir haben auch eine große Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen. Und wir Muslime müssen etwas vernachlässigt haben, dass dieses Bild in der öffentlichen Wahrnehmung entstanden ist.

Was hat man vernachlässigt? Oder warum ist diese Wahrnehmung entstanden?

Das hat sicher mehrere Gründe. Einer wird sein, dass die Politik – auch international – ist, so wie sie ist. Und wir haben in den letzten 20 Jahren Religionslehrer ausgebildet – wir haben aber keine Imame ausgebildet. Die kommen nach wie vor aus dem Ausland. Solange sie kompetent sind, ist das auch kein Problem. Aber Fakt ist, dass sich die beiden Berufe des Imams und des Religionslehrers ergänzen. Dort, wo der Religionslehrer unter der Woche aufhört, muss der Imam am Wochenende fortsetzen.

War es also ein Fehler, dass man zu sehr auf Hilfe aus dem Ausland gesetzt hat?

Das ist eine natürliche Entwicklung gewesen, ich würde es nicht als Fehler bezeichnen. Die letzten 40 Jahre waren davon geprägt, dass Vereine nach dem Vereinsgesetz autonom die Moscheelandschaft entwickelt haben. Das Islamgesetz hat sie jetzt unter die Glaubensgemeinschaft gestellt. Das bedeutet, dass das jetzt meine Moscheen, meine Imame sind. Nun müssen wir diese neue Verantwortung auch in den jeweiligen Moscheen umsetzen.

Dennoch, hat der Rückgriff auf Imame aus dem Ausland und das Festhalten an der Bindung, politisch und ideell, dazu geführt, dass Muslime ein schlechtes Image haben?

Ich glaube, dass es auch damit zu tun hat, dass viele Menschen in der ersten Generation gar nicht wussten, ob sie hier bleiben. Aber wir müssen Dinge aufholen, die wir in der Vergangenheit vernachlässigt haben, keine Frage. Der ersten Generation mit all ihren Bemühungen müssen wir gratulieren und dankbar sein, dass sie diese Infrastruktur aufgebaut haben. Unsere Verantwortung als deren Kinder ist es nun, die Menschen zu erreichen. So wie wir Religionslehrer ausbilden, müssen wir Imame ausbilden, die in einer Moschee fünf, zehn Jahre bleiben und etwas aufbauen können.

Ansätze dazu gibt es doch schon.

Wir haben an der Uni Wien die Theologie und an der KPH die Religionslehrerausbildung. Natürlich kann man Religionslehrer und Theologen zum Imam weiterbilden, aber wir müssen das Berufsbild klar kommunizieren. Als Religionslehrer hat man Sicherheit, die müssen wir auch potenziellen Imamen geben. Solange wir das nicht haben, werden immer Imame aus dem Ausland kommen. Aber weil unsere Moscheen immer multiethnischer werden, brauchen wir deutschsprachige Imame. Anders geht es nicht.

Wünschen Sie sich eine Imamschule?

Eine Imameausbildung werden wir auf die Beine stellen. Aber es ist ja auch wichtig, Interessenten zu finden, die bereit sind, als Imame zu arbeiten. Es wäre möglich, dass die IGGÖ finanziell so dasteht, dass sie die Imame bezahlt.

Bei Ihrem Antritt vor einem Jahr haben wir darüber gesprochen, dass die IGGÖ durch das Islamgesetz neue Aufgaben bekommen hat, aber keine Mittel dafür. Was ist seither passiert?

Es ist einiges passiert, aber nicht in dem Ausmaß, wie es wünschenswert wäre. Die Menschen identifizieren sich mehr mit der IGGÖ. An sich leistet man die Beiträge ja bei den Kultusgemeinden, aber es gibt immer mehr, die das direkt bei der IGGÖ machen.

Können Sie da Zahlen nennen?

Konkrete Zahlen nicht, aber es ist auf einem guten Weg. Und wir müssen auch überlegen, ob wir innermuslimisch so etwas wie eine Moscheesteuer andenken, vergleichbar zur Kirchensteuer. Aber das ist ein Prozess, bei dem alle im Boot sein müssen.

Wie konkret ist die Moscheesteuer?

Das ist nur ein Begriff bis jetzt, läuft intern unter Kultusbeitrag. Viele Muslime erreichen wir über Moscheen, viele über den Religionsunterricht, einige erreichen wir nicht. Und unser Auftrag ist ja auch, Menschen zu erreichen, die nicht in Moscheen gehen. Da haben wir noch einiges zu tun.

Interessieren sich die Menschen in einer säkularisierten Gesellschaft überhaupt noch in diesem Ausmaß für Religion?

Unsere Moscheen sind bei den Freitagsgebeten überfüllt. Jetzt müssen wir als IGGÖ keinen Unterschied machen, wer eine Moschee betreibt. Aber wenn ich sehe, wie in unmittelbarer Nähe zwei kleine Moscheen gegründet werden, wünsche ich mir, dass man zusammen eine würdigere größere Moschee aufbaut. Eine Moschee, die diesen Namen auch verdient. Es war 1912 bei der Anerkennung des Islam in Österreich angedacht, in Wien eine große Moschee zu errichten. Damals war man viel weiter als heute. Da muss man einiges nachholen.

Bedeutet eine große würdige Moschee, dass sie nach außen erkennbar sein muss, also mit Kuppel und Minarett?

Ein Minarett ist keine Pflicht. Man kann das modern und für die Öffentlichkeit vereinbar gestalten. Ein Minarett wird halt als Zeichen für Kampf gesehen, für Siegen oder Verlieren, das sind sinnlose Diskussionen. Von außen wahrnehmbar, ja, so wie jetzt etwa in Graz. Die IGGÖ betreibt ja selbst keine Moschee, das machen die Moscheevereine. Sie sollte aber zumindest in jedem Bundesland eine Moschee haben mit dem Sitz der Religionsgemeinde, wo man einen Ansprechpartner hat.

Also wollen Sie in jedem Bundesland eine eigene große Moschee der IGGÖ?

Wenn man eine Religionsgemeinschaft in einem Bundesland besucht, gibt es eine eigene Kirche oder Synagoge. Es spricht ja nichts dagegen, dass wir auch eine eigene Moschee haben.

Das wird nicht gehen ohne eine ziemlich breite Finanzierung.

Die Muslime haben es in den vergangenen 40 Jahren geschafft, riesige Liegenschaften zu finanzieren. Ich vertraue hier der muslimischen Zivilbevölkerung. Sie sind bei Spenden Champions-League-Sieger.

Wenn Sie große Moscheen errichten wollen, wird es wohl Widerstand in der Bevölkerung geben. Wie wollen Sie dem begegnen?

Das sind Vorstellungen für die Zukunft, man darf das nicht überhastet angehen. Und das kann nicht gegen die Bevölkerung gehen. Der Islam ist nicht das Fremde, er ist eine einheimische Religion. Je mehr es uns gelingt, dieses Bild zu vermitteln, desto weniger werden die Sorgen. Von der Politik erwarte ich mir aber auch, dass sie Muslimen vermittelt, dass sie Teil des großen Ganzen sind. Es kann nicht sein, dass wir nach über 100 Jahren noch diskutieren, ob der Islam zu Österreich gehört. Das Islamgesetz gibt es seit über 100 Jahren, das ist gültiges Recht. Der Islam ist nicht IS, ist nicht al-Qaida, sondern eine Religion wie jede andere in Österreich anerkannte.

IKG-Präsident Oskar Deutsch hat zuletzt gesagt, es ist in Wien sicher, mit der Kippa durch die Stadt zu gehen. Wie ist das mit dem Kopftuch?

Ich habe vor zwei Wochen eine Lehrerin bei mir gehabt, die gesagt hat, dass sie es nicht mehr aushält, all die Anfeindungen und Anpöbelungen wegen des Kopftuchs. Und ständig diese Rechtfertigungen, wenn sie etwa bei Veranstaltungen gefragt wird, ob ihr Mann das eh erlaubt hat, dass sie hier ist. Als wäre der Islam eine Religion, die Frauen etwas nicht erlauben würde. Da müssen wir viel mehr das richtige Bild nach außen vermitteln.

Aber ist es Ihrer Ansicht nach gefährlich, sich mit Kopftuch in der Öffentlichkeit zu bewegen?

Das wurde ja von Zara und der Dokustelle Islamfeindlichkeit dokumentiert, dass die Meldungen von Angriffen auf sichtbare Muslime gestiegen sind.

Wünschen Sie sich einen eigenen Beauftragten für Islamfeindlichkeit von Seiten der Politik?

Da teile ich die Einschätzung von Oskar Deutsch, dass wir alle in der Verantwortung stehen für das Zusammenleben. Einen eigenen Beauftragten braucht es da nicht.

Die IGGÖ hat zuletzt eine Antisemitismusdefinition übernommen, die auch Kritik an Israel als Antisemitismus einstuft. Wie schwierig wird das durchzusetzen sein?

Wir machen zwischen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit keinen Unterschied. Beides ist ein No-Go. Wir als IGGÖ haben mit der IKG viel Verbindendes, darum haben wir uns bereit erklärt, diese Definition mitzutragen. Wir Religionen sind in der Verantwortung, Vorbilder zu sein und für den Frieden einzutreten. Wir dürfen nicht zulassen, dass Religion verpolitisiert wird. Gerade, wenn Sie von Israel sprechen, ist das ein politisches Phänomen.

In Freitagspredigten ist aber der Palästina-Konflikt immer wieder ein Thema gewesen.

Wir sind als Islam eine Weltreligion. Man kann natürlich für die islamische Gemeinschaft beten, für den Frieden, und dabei auch die Muslime in Palästina nennen. Wir können nur wünschen, dass Palästina und Israel einen vernünftigen Weg finden, gemeinsam in Würde zu leben.

Wenn Sie nun erfahren, dass der Konflikt in einer Predigt politisiert wird, werden Sie dann Konsequenzen ziehen?

Wir werden verhältnismäßige Konsequenzen ziehen. Wir kommen nicht auf die Idee, die ganze Moschee zu schließen, wie das bei der letzten Regierung der Fall war. Sondern man wird den Imam einladen, die Dinge mit ihm besprechen. Wir haben klare Rahmenbedingungen: Hetze und Anfeindungen haben in einer Predigt nichts verloren.

40 Jahre IGGÖ

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) wurde 1979 gegründet.

Mit einer Feier im Wiener Rathaus wird am Sonntagnachmittag das Jubiläum begangen. Als Gäste werden Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Außenminister Alexander Schallenberg und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig erwartet.

Präsidenten der IGGÖ

Ahmad Abdelrahimsai
Der gebürtige Afghane amtierte von 1980 bis 1999.

Anas Schakfeh
Als geschäftsführender Präsident war der gebürtige Syrer ab 1979, offiziell Präsident von 1999 bis 2011.

Fuat Sanac
Von 2011 bis 2016 war der gebürtige Türke Präsident.

Ibrahim Olgun
Der Theologe aus Mistelbach mit türkischen Wurzeln war von 2016 bis 2018 der erste in Österreich geborene Präsident.

Ümit Vural
Seit 2018 ist der in der Türkei geborene Jurist IGGÖ-Präsident.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2019)

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