Wort der Woche

Energie

Wie viel Energie braucht ein Mensch, um die Grundbedürfnisse eines „anständigen Lebens“ befriedigen zu können? Laut neuen Berechnungen überraschend wenig.

Energetisch gesehen entspricht der Mensch einer 100-Watt-Glühbirne: Unser Körper braucht einen täglichen Energie-Input (via Ernährung) von rund 2,4 Kilowattstunden – macht 3,15 Gigajoule (GJ) pro Jahr. Durch Technologien, die das Leben angenehmer machen, etwa Motoren oder Computer, ist unser Energiebedarf freilich viel höher: In Mitteleuropa liegt er bei rund 170 GJ pro Kopf und Jahr; in den USA sind es sogar 360, in Indien hingegen nur rund 25.

Immer wieder wurde versucht, aus solchen Statistiken abzuschätzen, wie hoch der minimal erforderliche Energiebedarf für unseren Lebensstandard ist. Man kam auf zehn bis 100 GJ pro Kopf und Jahr – diese Spannweite ist so groß, dass kaum konkrete Aussagen gemacht werden können.

Einen anderen Weg haben nun Forscher um Narasimha D. Rao (Yale University, derzeit auch Institut für angewandte Systemanalyse IIASA in Laxenburg) beschritten. Sie haben für die drei Länder Indien, Brasilien und Südafrika ermittelt, welche Grundbedürfnisse für ein „anständiges Leben“ befriedigt werden müssen („decent living standards“), und diese in den nötigen Energiebedarf umgerechnet. Berücksichtigt wurden dabei moderne Anforderungen an Wohnen (zehn Quadratmeter pro Kopf, Heizung, Klimaanlage in einem Raum), Mobilität (10.000 km pro Jahr), Kommunikation (LCD-Fernseher, Handy), Ernährung, Bekleidung, Gesundheitsversorgung, Bildung und Infrastruktur.

Das Ergebnis: Der minimale Energiebedarf für all das hat in Indien eine Größenordnung von zehn GJ pro Kopf und Jahr, in Südafrika 15 und in Brasilien 20. Gut die Hälfte davon entfällt auf Mobilität, rund ein Viertel auf Ernährung und ein Zehntel auf Wohnen (Nature Energy, 18. 11.). „Wir haben nicht erwartet, dass der Energiebedarf für die Grundbedürfnisse so niedrig ist“, erläutert Rao. Es habe sich gezeigt, dass angemessene Gesundheitsversorgung, Ernährung und Bildung hinsichtlich des Energiebedarfs sehr „billig“ zu haben seien. Der tatsächliche Energieverbrauch der Menschen werde vor allem von Wohlstand und Überfluss getrieben, nicht so sehr von den Grundbedürfnissen.

Für die Zukunft des (stark wachsenden) weltweiten Energiebedarfs bedeutet dies, dass dem Lebensstil der aufstrebenden Mittelklasse in Entwicklungsländern besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse, so Rao. Die Ausrottung der Armut werde jedenfalls nicht an Energiemangel scheitern.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2019)

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