Wort der Woche

Mensch-Tier-Beziehung im Umbruch

Die Mensch-Tier-Beziehung verändert sich derzeit stark. Der Mensch gilt nicht mehr als „Krone der Schöpfung“, sondern als „eines der Topmodelle der Evolution“.

Dass Tiere bloße Maschinen mit vorprogrammierten Reaktionen seien (wovon Philosophen einst überzeugt waren), glaubt heute niemand mehr. Aber die ganze Fülle der kognitiven Fähigkeiten von Tieren wurde erst jüngst klar – etwa dass Tiere leidensfähig sind, dass z. B. Schweine ein komplexes Sozialleben haben oder dass Singvögel ausgeprägte Individuen sind. All das galt früher als spezifisch menschlich.

Kein Wunder, dass ethische Bedenken (neben Sorgen hinsichtlich Umwelt und Klima) nun dazu führen, dass immer mehr Menschen der Tierzucht und dem Fleischessen skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Wie ausgeprägt diese Bedenken bereits sind, zeigt ein Beispiel aus der Wissenschaft: Anfang Mai veröffentlichte die kanadische Psychologin Jennifer Mather in Animal Sentience einen Artikel, in dem sie die verblüffenden Fähigkeiten von Oktopussen systematisch beschreibt. In den Wochen darauf erschienen viele Kommentare, die darauf aufbauend den „Geist“ von Oktopussen thematisierten und ethische Fragen stellten. Mitte Juli wurde schließlich eine von 111 Forschern (auch aus Österreich) unterzeichnete Aufforderung veröffentlicht, alle Versuche zur Produktion von Oktopussen in Aquakultur sofort einzustellen.

In der Wissenschaft ist der Gedanke des „Darwinschen Tier-Mensch-Kontinuums“ mittlerweile weitgehend akzeptiert: Demnach haben wir viele Anlagen und Verhaltensweisen aus unserer stammesgeschichtlichen Entwicklung geerbt – folglich besitzen verwandte Lebewesen ähnliche Eigenschaften. Ab wann man von „Geist“ oder „Intelligenz“ sprechen kann, ist v. a. eine Frage der Definition. Fasst man sie sehr weit und inkludiert auch Reaktionen, die flexibel an die Situation angepasst sind, zeigen selbst Pflanzen intelligentes Verhalten.

Das Bild vom Menschen als „Krone der Schöpfung“, dem alle anderen Wesen unterlegen und untertan sind, hat jedenfalls ausgedient, es wurde im ablaufenden Jahrzehnt endgültig zu Grabe getragen. Gleichzeitig wurden aber – zumindest abseits radikaler Tierrechtsgruppen – nicht alle Unterschiede zwischen Mensch und Tier wegrelativiert. Denn klarerweise gibt es menschliche Spezifika, wie etwa symbolische Sprache oder Spiritualität. Sehr schön drückt diese neue Sichtweise der Wiener Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal in seinem neuen Buch „Mensch“ (316 S. Brandstätter, 25 €) aus: Der Mensch sei „eines der Topmodelle der Evolution“.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2019)

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