Erdoğan und Putin gerieren sich als Friedensapostel

Erdogan und Putin bei der Eröffnung der Pipeline "TurkStream"
Erdogan und Putin bei der Eröffnung der Pipeline "TurkStream"REUTERS
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Nahost/Nordafrika. Während die Angst vor einem Krieg umgeht, verordnen Russland und die Türkei eine Waffenruhe für Libyen.

Istanbul. Während die Welt gebannt darauf schaut, ob die Feindschaft zwischen den USA und Iran endgültig in einen Krieg ausartet, dessen Flammen sich durch die ganze Nahostregion fressen, präsentieren sich Recep Tayyip Erdoğan und Wladimir Putin als Friedensbringer für Libyen. Die beiden Länder seien zu guten Weggefährten geworden, sagte der türkische Präsident am Mittwoch bei einem Treffen mit dem russischen Staatschef in Istanbul. Mit Blick auf Libyen, Syrien und den iranisch-amerikanischen Konflikt betonte Putin, entgegen aller Versuche, die Spannungen in der Region zu erhöhen, werde die Zusammenarbeit zwischen Ankara und Moskau werde immer enger.

Putin präsentierte sich in Istanbul als Vertreter eines Staates, der sich als neue Führungskraft in Nahost versteht: Er kam direkt aus der syrischen Hauptstadt Damaskus nach Istanbul. Gemeinsam mit der Türkei beansprucht Russland ab sofort auch die Rolle einer Ordnungsmacht in Libyen. Die beiden Politiker forderten eine Waffenruhe in dem nordafrikanischen Bürgerkriegsland ab Sonntagnacht.

Erdoğan und Putin weihten in Istanbul auch die mehr als 900 Kilometer lange Gaspipeline TurkStream ein, die pro Jahr 31,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland durch das Schwarze Meer bringen soll. Die Hälfte des Gases ist für die Türkei bestimmt, die damit nach Erdoğans Worten 15 Millionen Haushalte versorgen kann. Die andere Hälfte geht nach Europa.

Ankaras gelockerte Westbindung

Das Projekt verstärkt die Abhängigkeit der Türkei von Russland als Energielieferant. Doch das ist nicht der einzige Bereich, in dem Ankara auf ein gutes Verhältnis zu Moskau angewiesen ist. In Syrien hat Russland alle Karten in der Hand; ohne Putins Ja wäre die jüngste türkische Militärintervention dort nicht möglich gewesen.

Die enge Zusammenarbeit beider Länder hat die traditionelle Westbindung der Türkei erheblich gelockert. Ankara hat ein russisches Flugabwehrsystem gekauft und setzt wie Moskau darauf, den Einfluss der USA im Nahen Osten zurückzudrängen. Washington ist wegen der türkisch-russischen Harmonie besorgt und will mit Sanktionen gegen die TurkStream-Pipeline vorgehen. Erdoğan und Putin zeigten sich davon unbeeindruckt. Moskau und Ankara würden noch viele Projekte gemeinsam anpacken, sagte Putin.

Was die Differenzen über die syrische Rebellenprovinz Idlib anbetrifft, wo Regierungstruppen mit russischer Unterstützung zuletzt immer weiter vorrückten, konnte Erdoğan bei Putin nicht viel bewegen. In einer gemeinsamen Erklärung bekräftigten beide Seiten lediglich ihre Entschlossenheit, alle Vereinbarungen in Idlib umzusetzen. Anders sah es beim Thema Libyen aus.

Ankara unterstützt in Libyen die Einheitsregierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch, die sich gegen einen Angriff von Rebellengeneral Khalifa Haftar wehrt. Moskau gehört zu Haftars Unterstützern. In Istanbul rissen Erdoğan und Putin mit der Forderung nach einer Waffenruhe trotz ihrer Interessengegensätze die Initiative an sich. Sie signalisierten damit, dass sie andere Akteure wie die UNO oder europäische Staaten verdrängen wollen. Eine militärische Lösung für Libyen gebe es nicht, betonten sie, obwohl dort beide militärisch mitmischen.

Alle Konfliktparteien in Libyen sollten sich an einen Tisch setzen. Damit setzten sich Erdoğan und Putin an die Spitze einer Initiative, die von der deutschen Bundesregierung gestartet worden war: Sie will Ende Jänner in Berlin eine Friedenskonferenz für Libyen ausrichten.

Mehr Einfluss in Libyen würde Russland und der Türkei mehr Druckmittel gegenüber den Europäern in die Hand geben. Libyen ist der wichtigste Ausgangspunkt für Bootsflüchtlinge aus Afrika, die nach Europa wollen. Offenbar gehen Erdoğan und Putin davon aus, dass sie ihre jeweiligen Partner in Libyen zu Kompromissen zwingen können. Mit einer gehörigen Portion Chuzpe erklärten sie, angestrebt werde ein „politischer Prozess unter libyscher Führung“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2020)

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