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„Zweite Chance“ für Kanzler Kurz

Wiedersehen im Parlament: Alma Zadić und Sebastian Kurz.
Wiedersehen im Parlament: Alma Zadić und Sebastian Kurz.(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Vieles ist anders mit türkis-grüner Mehrheit: Die SPÖ sucht neue Feinde, die Grünen wollen alte vergessen. Manche müssen sich an die neue Rolle gewöhnen. Nur Herbert Kickl nicht.

Man sollte es nicht überinterpretieren, aber ein wenig aussagekräftig ist es schon, was sich in den ersten Minuten einer so wichtigen Parlamentssitzung abspielt. Man merkt sofort, wer zum türkis-grünen Regierungsteam gehört, auch wenn sich einige Gesichter wie jenes von Staatssekretär Magnus Brunner vielleicht noch nicht ins kollektive Gedächtnis eingeprägt haben: Da wird sich beinahe ausnahmslos mit Bussi links, Bussi rechts begrüßt, Innenminister Karl Nehammer klopft einigen noch auf die Schulter.

Aber man merkt auch, wer die Profis im Spiel mit der Öffentlichkeit sind, und wer sich noch eine Liga darunter befindet. Zum Beispiel daran, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz mit seinem ÖVP-Team prominent in einer gut belichteten Ecke steht, umringt von Kameras, während sich die grünen Regierungskollegen noch ein bisschen im Abseits befinden. Oder daran, dass der türkise Part in der Regierung in einer Reihe Richtung Regierungsbank marschiert, sobald Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ebenfalls ÖVP) mit seiner Glocke läutet. Werner Kogler und sein Team kommen erst hernach.

Aber natürlich genießen auch die Grünen die Privilegien einer Regierungspartei. Vor allem Werner Kogler. Als Vizekanzler gelten für ihn die Redezeitbeschränkungen nicht, und dieses Faktum nutzt er so lang aus, bis selbst Sebastian Kurz etwas unruhig wird und die wilde Mandatarin Philippa Strache schon längst ihren Sessel verlassen hat. (Später hielt die fraktionslose Abgeordnete übrigens ihre erste Rede.)

Als Koglers Rede schon 25 Minuten anhält, beginnt er gerade erst, „stichwortartig“ die Pläne der Regierung zu erklären. Er streicht den „Schwerpunkt auf den sozialen Zusammenhang und die Armutsbekämpfung“ hervor, aber auch den Ausbau der Plätze in den Frauenhäusern. Zuvor spricht er lang über den Klimaschutz, aber noch länger über die Folgen vergangener Regierungen. „Dinge, die uns vor Kurzem noch selbstverständlich vorgekommen sind – Freiheit, Demokratie, Menschenwürde – waren dann gar nicht mehr gesichert.“ Es klingt fast ein wenig entschuldigend für all die Kompromisse, die Grün mit der ÖVP eingehen musste.

Helmut Brandstätter, Beate Meinl-Reisinger und Pamela Rendi-Wagner.
Helmut Brandstätter, Beate Meinl-Reisinger und Pamela Rendi-Wagner.(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)

Was für Kogler Heimat ist

Je länger Werner Kogler redet, desto mehr verliert er sich. Aber gerade zu Beginn wirkt seine (mehr oder weniger) frei gehaltene Ansprache. Er bringt Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) zum Lachen, wenn er von den Verhandlungstagen und -Nächten im Winterpalais erzählt („Man bekommt ein Gefühl dafür, warum es so heißt: Winterpalais“).

Und er erhält auch Applaus von den Abgeordneten der SPÖ und Neos, als er über Alma Zadić spricht – das Regierungsmitglied, das an diesem Tag am stärksten im Fokus steht. „Einer der berührendsten Momente war, als ich ihre Eltern kennenlernen durfte“, sagt Kogler. „Als Zehnjährige ist Alma Zadić aus dem Bosnien-Krieg geflüchtet.“ Nun ist sie Ministerin. „Und möglicherweise“, sagt Kogler, „ist Heimat dort, wo die Herzen groß genug sind, um zu erkennen, dass das möglich und sinnvoll ist.“ Dann bedankt sich Kogler bei all jenen, die gegen die Hasskampagne aufgetreten sind.

Überhaupt ist viel von Dank die Rede, zumindest auf der Regierungsbank. Auch bei Kurz, der den Umgang zwischen ÖVP und Grünen lobt, aber auch die frühere Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen. „Es ist leichter, stur zu sein und auf rote Linien zu pochen, als Kompromisse einzugehen.“ Etwas kürzer und strukturierter als Kogler erzählt Kurz dann vom Regierungspakt. Und er streicht auch andere Stellen heraus: zum Beispiel die Sicherheitspolitik, die Pflegeversicherung und das Nulldefizit.

Das sind auch die Momente, in denen man merkt: Die grünen Abgeordneten müssen sich an die neue Konstellation erst gewöhnen. Für gewöhnlich klatschen Mandatare auch dann, wenn ein Mitglied der Koalitionspartei spricht. Klubchefin Sigrid Maurer tut es bei Kurz nicht immer, ihre Kollegen im Parlamentsklub verzichten auch an einigen Stellen. Die ÖVP-Mandatare sind da schon disziplinierter. Andererseits: Sie haben auch schon länger Erfahrung damit.

Auch für die Sozialdemokratie und die Neos ist es eine schwierige Situation: Der Feind Türkis-Blau ist Geschichte, es braucht also einen neuen. Beate Meinl-Reisinger (Neos) versucht es erst einmal mit einem Waffenstillstand: „Ich bin froh, dass diese Regierung angelobt ist, dass der Stillstand beendet wurde.“ Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) versucht, sich auf Kurz zu konzentrieren: „Ich gebe Ihnen eine zweite Chance.“ Jetzt müsse er aber gegen Rassismus und Sexismus auftreten.

Kickl: Die „Greta-Koalition“

Nur einer wirkt in der Oppositionsrolle glücklicher als zuvor: Ex-Innenminister Herbert Kickl. Der freiheitliche Klubobmann stellt möglicherweise einen neuen Rekord auf und erhält innerhalb weniger Minuten gleich zwei Ordnungsrufe. Zuerst, als er das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes eine „kommunistische Tarnorganisation“ nennt. Dann, als er Richtung Küniglberg von „Bonzen“ spricht. Der Rest ist ein Potpourri typischer Kickl-Sager: Zadić sei bei der Sicherungshaft früher eine „der größten Hysterikerinnen“ gewesen. Und Türkis-Grün eigentlich nur eine „schwarz-grüne Greta-Koalition“.

Übrigens, Kickl und Kurz haben sich nicht mit Bussis begrüßt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2020)

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