Roman

Patricio Pron über erstaunliche Kontinuitäten in der italienischen Politik

In seinem labyrinthischen Roman „Vergieß deine Tränen für keinen, der in diesen Straßen lebt“ thematisiert Patricio Pron italienische Zeitgeschichte.

In einem vielschichtigen Roman, der zwischen Realität und Fiktion angesiedelt ist, und dessen Erzählstandpunkt ebenso oszilliert wie der Wirklichkeitscharakter, beschreibt der von der Kritik hochgelobte argentinische Autor Patricio Pron (Jahrgang 1975) mehrere Dimensionen der italienischen Zeitgeschichte, die, obzwar fast hundert Jahre umfassend, einen inneren Zusammenhang aufweisen.

Er spannt den Bogen zwischen der faschistischen Fraktion des Futurismus über die intellektuellen Unterstützer von Mussolinis zweiter Herrschaft in Italien, der Republik von Salò (die von September 1943 bis Mai 1945 bestand), bis zur fiebrigen Zeit der späten Siebzigerjahre, als die Roten Brigaden mit terroristischen Methoden gegen die Repräsentanten der Staatsmacht vorgingen. Diejenigen, die meinten, gegen einen modernen Faschismus zu kämpfen, provozierten autoritäre Phänomene jenes Staates, in dem die Arbeiterbewegung gerade dabei war, Einfluss auf Sozial- und Arbeitsgesetze zu gewinnen.

Von 1975 bis 1992 bestand in Italien die Scala mobile, die eine automatische Anpassung der Löhne an die Inflation garantierte, wodurch der Reallohnverlust gestoppt wurde. Zum anderen waren die Unternehmer angesichts der teurer werdenden Arbeitskraft gezwungen, in moderne Produktionsanlagen zu investieren, was wiederum dazu führte, dass die Produkte der verarbeitenden und Konsumgüterindustrie sich auf dem Weltmarkt behaupteten. Eine Steigerung des Exports und der Aufstieg von Familienbetrieben zu Weltmarktführern wurden durch die Scala mobile begünstigt. In dieser Hochphase der italienischen Arbeiterschaft vom Faschismus des Systems zu sprechen war eine groteske Fehleinschätzung, nichtsdestoweniger eine blutige.

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