Neurowissenschaft

Babys lernen Kinderlieder schon im Mutterleib

128 Elektroden geben im EEG Einblick in die Gehirnströme des Babys.
128 Elektroden geben im EEG Einblick in die Gehirnströme des Babys.Schabus
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Salzburger Forscher zeigen, dass Neugeborene von Reimen, die ihnen bereits vor der Geburt täglich vorgespielt wurden, besser beruhigt werden als von unbekannten Reimen. Auf die Stimme der Mutter schwingt sich das Gehirn der Babys schneller ein als auf fremde Stimmen.

Wie wirkt die Stimme der Mutter auf ein neugeborenes Kind, und was kann ein Fötus im Bauch schon lernen? Diesen Fragen gehen Neurowissenschaftler der Uni Salzburg mit immer detaillierteren Methoden nach. Für die aktuellste Studie wurden 30 werdende Mütter rekrutiert, die ab der 34. Schwangerschaftswoche ihr Baby im Bauch mit Kinderreimen stimulierten. „Die Mutter hat auf eine CD die Sprechgesänge ,Bi-Ba-Butzemann‘ oder ,Schlafe, mein Kindchen‘ aufgenommen. Dieser wurde per Lautsprecher im Raum mit 80 Dezibel zwei Mal täglich vorgespielt, sechs Wochen bis zur Geburt“, erzählt Manuel Schabus, der mit Heidi Lang und Monika Angerer die Studie leitete. Laut Schätzungen erreicht die Stimme der Mutter mit circa 60 Dezibel das Kind im Uterus.

Die Forscher besuchten die jungen Familien nach der Geburt und testeten das Baby im Alter von zwei und fünf Wochen mit verschiedenen Geräten und verglichen die Ergebnisse mit Babys, die nicht vor der Geburt per Lautsprecher stimuliert wurden.

„Wir haben die Herzphysiologie gemessen, also ob das Herz schneller oder langsamer schlägt, wenn der bekannte Reim vorgespielt wird. Zudem wurden die Babys gefilmt, um zu sehen, ob es einschläft oder aufmerksam ist“, erklärt Schabus. Die spannendsten Daten ergaben sich aus dem High-Density-EEG: Eine Babyhaube mit 128 Elektroden zeigt den Forschern in höchster Auflösung das Elektroenzephalogramm, also die elektrische Aktivität des Gehirns. „Im Unterschied zu einem Standard-EEG verfügt unser Gerät über 128 Elektroden und macht die Lokalisation von Strömen am Gehirn genauer sichtbar.“

Bi-Ba-Butzemann zum Schlafen

Bei den Besuchen nach der Geburt wurde den Babys per Lautsprecher die Stimme der Mutter vorgespielt: einerseits mit dem vorgeburtlich bekannten Reim, andererseits mit neuen Kinderliedern. Außerdem wurde getestet, wie die Kinder bei einer fremden Frauenstimme im Vergleich zur mütterlichen Stimme reagieren.

„Der Kinderreim, der den Babys vorgeburtlich vorgespielt wurde, hat sie nach der Geburt schneller beruhigt: Die Herzrate wurde langsamer und die Babys sind eher eingeschlafen“, sagt Schabus. Bei der Kontrollgruppe, die nicht im Uterus beschallt wurde, blieb die Herzrate hoch, und die Babys schliefen nicht ein. „Das stützt ,Fetal-Programming-Thesen‘ zum pränatalen Lernen, also dass Kinder vorgeburtlich Substanzielles von der Umgebung lernen, auf das sie nach der Geburt besser reagieren können, z. B. auf basale Regeln der Muttersprache.“

Bei dem Vergleich der Stimme der Mutter mit einer fremden Frauenstimme gab es zwischen den Babygruppen keinen Unterschied: Egal ob vorgeburtlich per CD stimuliert oder nicht, die Stimme der Mutter beruhigt das Kind schneller. „Das EEG zeigt auch, dass das Gehirn des Babys bei der Stimme der Mutter stärker koppelt, also sich auf die Sprache besser einschwingt, um sie zu verstehen.“

Überrascht waren die Forscher aber, dass die bekannten Reime nicht zu diesem Einschwingen der Gehirnwellen führen. „Die Babys reagierten auf neue Kinderreime, die sie nicht vorgeburtlich gehört hatten, mit einer stärkeren Kopplung“, sagt Schabus. Anscheinend wird das Gehirn aufmerksamer bei neuen Reizen, weil es diese stärker verarbeiten muss.

Wie wirkt sich Stress aus?

Die Neurowissenschaftler möchten in einem großen Folgeprojekt nun Kinder bis zum 18. Monat begleiten. „Uns interessiert auch, wie der Stress der Mutter während der Schwangerschaft die Bindung und die Entwicklung des Denkens im Kleinkind prägt“, sagt Schabus.

Über Kliniken und Schreiambulanzen sollen dabei Frauen rekrutiert werden, die unter besonderen Belastungen leiden. Sowohl die Stresshormone der Frauen als auch die der Babys – durch Analyse der Haare der Neugeborenen – sollen dann Einblick geben, ob Stress das Lernen der Kinder beeinflusst. „Wir sind aber noch nicht in der Rekrutierungsphase, denn wir suchen noch nach Fördermitteln“, sagt Schabus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2020)

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