Finnland

Miteinander sitzen, reden, schwitzen

Im Allas Sea Pool (oben) gibt es Becken für Warmduscher, Eisschwimmer und natürlich eine Sauna.
Im Allas Sea Pool (oben) gibt es Becken für Warmduscher, Eisschwimmer und natürlich eine Sauna.Visit Finland
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Champagner in der Lifestyle-Sauna, plaudern unterm Bücherhimmel: Helsinki durchlebt einen tief greifenden Wandel, ausgelöst durch neue Bauten, Attraktionen und die (wiederentdeckte) Lust am gemeinsamen Leben.

Manta fröstelt. Eine kräftige Bö fährt von der Ostsee herein in ihren starren Lockenkopf, aus dem grauen Himmel klatschen erste Tropfen auf den bronzenen Busen. Die „Liebenswerte des Meeres“, „Manta“ unter Freunden, die seit 1908 auf dem Marktplatz von Helsinki steht, bibbert ein wenig. Uudet tuulet, denkt sie – winds of change, ein Sturm der Veränderung fegt derzeit durch ihre Stadt.

Direkt gegenüber ragt neuerdings ein ungewöhnliches Ensemble empor. Ein Riesenrad (die Kabinen sind beheizbar und mit Radio versehen) bietet einen Blick übers Meer. Das Flying Cinema Helsinki daneben verspricht eine rasante 4-D-Achterbahnfahrt über die Dächer der Stadt und über die Festungsinsel. Und davor lädt der Allas Sea Pool zum Bade. Für Warmduscher wird das Süßwasserbecken auf siebenundzwanzig Grad aufgeheizt, während echte Finnen sich erst winters zwischen die Eisschollen des Salzwasserbeckens stürzen. Natürlich hat Allas auch eine Sauna und sie wird lebhaft genutzt. In den letzten Jahren haben öffentliche Saunen in Helsinki ein erstaunliches Comeback erlebt. Anlagen wie die Kultursauna in Merihaka oder die Sompasauna, die von Freiwilligen betrieben wird, sind stylische Holzbauten, die neben Wasseraufgüssen auch Champagner, meditativen Kerzenschimmer und spektakuläre Ausblicke bieten.

Manta staunt: Ein Fieber scheint die Stadt erfasst zu haben. Auf dem Platz hinter Lasipalatsi, dem Glaspalast von 1936, bilden fünf Kuppeln aus Betonsteinen, grauen Schneehaufen nicht unähnlich, ein amorphes Berg- und Tal-Gefüge. Jede von ihnen endet in einem runden, schrägen Glasfenster. Sind es Zyklopenaugen, die starr in den Himmel blicken? Es handelt sich um die Lichtquellen des darunter liegenden, neuen Kunstmuseums Amos Rex.

Unterirdisch sehenswert

Zwei schwarzhaarige Kinder versuchen jubelnd, auf die Scheiben zu klettern, ein verwitterter Graukopf nippt neben dem weißen Uhrturm in der Mitte behaglich an einer Dose Bier, ein japanisches Pärchen sucht breitbeinig die beste Position fürs Selfie. Zur großen Freude der Planer wurde das neu geschaffene Stück Stadtlandschaft sofort in Beschlag genommen. 13.000 Kubikmeter Fels hat die Amos Anderson Stiftung, die den Platz übernommen und dort das gleichnamige Museum 1965 eröffnet hat, aus dem Boden sprengen lassen. Die fünf Ausstellungsräume des Amos Rex, entworfen vom finnischen Büro JKMM, liegen jetzt unter der Erde, halten über ihre Lichtkamine Verbindung mit der Außenwelt und sind zugleich dort präsent.

Manta ahnt: Vielen Bewohnern geht die Sache mit den Veränderungen jetzt zu schnell und zu weit. Soviel Vertrautes, was verschwindet, soviel Ungewohntes, das plötzlich irgendwo steht. Neuerdings haben Architekten im Internet immer öfter mit Hasstiraden gegen ihre jüngsten Schöpfungen zu kämpfen.

Das kommt den Erneuerern Oodi gerade recht. Denn die Bibliothek, die Ende 2018 eröffnet wurde, hat fast von Anfang an breiteste Unterstützung gefunden. Oodi, die Ode, wie sie nach dem Willen der Hauptstädter genannt wurde, ist eine in der Bewegung erstarrte, lang gezogene Welle aus Fichtenholz mit gläsernem Aufsatz, geplant von den ALA Architects mit Sitz in Helsinki. Die gewundene, honigfarbene Fassade strahlt Kraft, Eleganz und Dynamik aus, und auf den drei Etagen herrscht ein reges Kommen und Gehen.

Klassische und innovative Kost in einem der neuen Lokale stärkt.
Klassische und innovative Kost in einem der neuen Lokale stärkt.(c) Julia Kivela

Bibliothek für alle

Ganz oben im Bücherhimmel steigt der Holzboden zu beiden Seiten an und schiebt sich der gewellten, weißen Decke entgegen. Auf Sitzkissen breiten Studenten Papierberge aus, auf den weißen Regalen (es gibt an die 100.000 gedruckte Bücher hier) sind alle größeren Sprachen der Welt vertreten. Eine schwarze Wand rund um eine Wendeltreppe ist beschrieben mit Begriffen, die die Menschen aus Helsinki im Internet vorab gesammelt haben: Hyväuskoisille, lyhytkasvuisille, tohvelisankareille ... für die Gutgläubigen, die Kleinwüchsigen, die Pantoffelhelden sollte das Haus unter anderen sein – insgesamt 381 Kategorien von Menschen sollten sich hier erklärtermaßen zu Hause fühlen.

Das mittlere Geschoß dient der praktischen Arbeit. An einer der Nähmaschinen zeigt eine ondulierte Dame einer behinderten jungen Frau, wie man Knopflöcher säumt. Es gibt Laminier- und Bindemaschinen, Foto- und Videostudios, und im Cube erklären Wissenschaftler der Uni neue Spiele, bei denen sich alles um die Chaostheorie dreht.

Visit Finland

Oodi ist ein Gebäude, das das Bedürfnis nach Geborgenheit, Zusammensein und Weltläufigkeit verbindet. Es ist Architektur für Menschen und macht, das ist unübersehbar, seine Nutzer glücklich. Manta sieht: Die Stadt zu ihren Füßen ist in Arbeit. Und ihre Bewohnerinnen und Bewohner haben offenbar die Lust am gemeinsamen Leben entdeckt. Sie sitzen und schwitzen zusammen, sie lesen und lernen, sie plaudern gelassen mit Wildfremden, sie besuchen Restaurants – und ihr, der Schönen am Hafen, gefällt ganz offenbar, was sie sieht. Denn kein Zweifel: Manta lächelt.

TIPPS: IM GEFÄNGNIS SCHLAFEN, EINEN HOLZKLOTZ ESSEN

Anreise: Mit Finnair (www.finnair.com) durch die Luft oder mit Finnlines (www.finnlines.com) auf dem Wasserweg von Travemünde.

Übernachten: „Hotel Katajanokka“: Bis 2002 Untersuchungsgefängnis, dann zum Hotel umgebaut, 2017 noch einmal renoviert. Die Zimmer sind geräumig, Frühstück wird in den alten Kellerräumen serviert. Wer mag, kann sich bei einem kurzen Rundgang ehemalige Zellen zeigen und die Geschichte des Hauses erzählen lassen. Merikasarminkatu 1 A, 00160 Helsinki, www.hotelkatajanokka.fi

Essen und Trinken: „Ultima“ besteht seit 2018. Chef Aussi Riihimäki serviert ambitioniert moderne finnische Küche wie Barschfilet in Blaumuschelsud, Pilzgelee mit Lammsülze, Liebstöckel und Topinambur. Das 5-Gänge-Menü kostet 74 Euro. Eteläranta 16, 00130 Helsinki, www.restaurant-ultima.fi

„Savotta“ liegt prominent am Senatsplatz und bietet pittoreske finnische Klassiker in zeitgemäßem Gewand wie den „Holzklotz“, eine Wildpastete in Roggenteig. Aleksanterinkatu 22, 00170 Helsinki, www.ravintolasavotta.fi

„Kolmon3n“ produziert in sehr entspanntem Ambiente im Trendviertel Kallio schnörkellose neue finnische Küche: Geräucherte Steckrübensuppe, gesalzener Elch, Grillkäse mit Waldpilzen. Kolmas Linja 11, 00530 Helsinki, www.kolmon3n.com

Architektur: Auf www.archinfo.fi findet sich eine hilfreiche Karte mit allen wichtigen Architektur-Highlights wie

www.amosrex.fi, www.oodihelsinki.fi

www.helsinginkaupunginmuseo.fi

www.allasseapool.fi, www.myhelsinki.fi

www.visitfinland.com/de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2020)

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