Ausgerechnet beim Hahnenkamm-Auftakt und vor den Augen seines Ex-Teamkollegen Aksel Lund Svindal gelingt dem Norweger Kjetil Jansrud der lang ersehnte Befreiungsschlag. „Ich habe versucht, die Harmonie wiederzufinden.“
Kitzbühel. Der erste Sieger der 80. Hahnenkammrennen schlug aus dem Hinterhalt zu. Die zeitgleichen Matthias Mayer und Aleksander Aamodt Kilde haben nach ihren Fahrten mit dem Super-G-Erfolg auf der Streif schon mehr als geliebäugelt, im Zielraum wurde bereits gerätselt, wie bei einem Ex-aequo-Erfolg mit dem beachtlichen Sieger-Preisgeld von 68.500 Euro verfahren wird.
Dann aber fing Kjetil Jansrud das Duo noch um 16 Hundertstel ab. Abgezeichnet hat sich der Triumph des Norwegers nicht unbedingt. Zwar hat Jansrud in Kitzbühel schon 2015 die (verkürzte) Abfahrt gewonnen, in diesem Winter aber kämpfte er gegen ein hartnäckiges Formtief an. Nicht ungewöhnlich, beim Blick auf die neue Rolle des 34-Jährigen in der norwegischen Mannschaft.
Mit Aksel Lund Svindal hatte der Teamleader die Skier an den Nagel gehängt, Jansrud sollte in seine Fußstapfen des Wikinger-Chefs treten. Kein leichtes Erbe nach all den großen Anführern im Norges Skiforbund wie Kjetil Andre Aamodt oder Lasse Kjus. Zumal das Team bei den Skandinaviern über allem steht und als Basis für den Erfolg angesehen wird. Und tatsächlich: Prompt lieferte Jansrud seinen schwächsten Saisonstart seit Jahren ab.
Der Kitzbühel-Super-G, zugleich sein erster Sieg seit November 2018, soll nun die Wende sein. Passend dazu war Freund und Ski-Pensionist Svindal, selbst dreifacher Super-G-Sieger auf der Streif, als Zuschauer mit dabei – und gab auch wieder ein wenig den Teamkollegen. „Kjetil ist beim Einfahren viel besser gefahren, als ich ihn heuer schon gesehen habe“, berichtete Svindal.
Dass bei Jansrud, immerhin amtierender Abfahrtsweltmeister, die Topresultate bis zuletzt ausgeblieben sind, machte Svindal am Material fest. Mit Svindal und Kilde, der zu Atomic zurückgekehrt ist, waren dem Routinier auch seine Head-Markenkollegen abhandengekommen. „Das sind Kleinigkeiten, da kommt es darauf an, was man auf dem Schnee spürt. Das hängt auch mit dem Kopf zusammen“, erklärte Svindal. Doch Jansrud bewahrte die Ruhe. „Eine meiner guten Eigenschaften ist, dass ich Geduld habe. Ich lasse das alles auch nicht an mich heran“, meinte der Streif-Sieger. Er habe stets gewusst, dass wieder eine Chance kommen werde. „Die musst du nehmen. Ich habe versucht, die – sagen wir – Harmonie in meinem Skifahren wiederzufinden.“
Der zweitplatzierte Kilde untermauerte seine Stellung als der konstanteste Speedfahrer dieses Winters. Nur 20 Punkte liegt er im Gesamtweltcup noch hinter seinem führenden Landsmann Henrik Kristoffersen. Rivalen, Trainer und Experten sind sich mittlerweile einig, dass der 27-Jährige in dieser Form um die große Kugel mitfahren kann. „Ich bin das ganze Jahr schon stabil, ich nehme Rennen für Rennen. Natürlich, wenn ich auch in Zukunft so abliefere wie heute, dann wird beim Finale cool werden, zu sehen, wer das macht“, erklärte Kilde.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2020)