Theater

Das Ringen um eine Haltung

„Was will ich von dem, was ich mitbekommen habe, für mein eigenes Leben behalten?“ Mit dieser Frage konnte sich Regisseurin Kathrin Herm identifizieren.
„Was will ich von dem, was ich mitbekommen habe, für mein eigenes Leben behalten?“ Mit dieser Frage konnte sich Regisseurin Kathrin Herm identifizieren.(c) Clemens Fabry
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In Kathrin Herms aktueller Inszenierung geht es um Faschismus, Linksextremismus und den eigenen Weg. Dazu diskutiert auch eine Ex-Terroristin.

Man spürt richtig, wie intensiv sich Kathrin Herm mit dem Text befasst hat, den sie aktuell inszeniert – und mit der ungewöhnlichen Person, die dahinter steht: mit dem Autor Bernward Vesper, Sohn des Nazi-Dichters Will Vesper und mit der späteren RAF-Mitbegründerin Gudrun Ensslin liiert. „Diese Figur ist höchst widersprüchlich“, sagt die Regisseurin. „Sie ist derart komplex, wie man sie, glaube ich, gar nicht erfinden könnte. Und das hat mich fasziniert.“

Ähnlich ungewöhnlich wird wohl die Performance, bei der im Werk X ab kommender Woche drei Schauspieler auf der Bühne stehen werden. „Die Reise“ von Vesper ist ein Konglomerat aus unterschiedlichen Texten: Romanfragmente à la Roadtrip, tagebuchartige Einträge, gesellschaftliche Beobachtungen, Zeitungsartikel, Gedichte: „Wir haben versucht, den assoziativen Charakter beizubehalten“, sagt Herm. „Insofern ist das Stück schon crazy, weil es verrückte Sprünge gibt.“

Dass sie aus dem 1977 erschienenen Buch etwas machen will, war für die gebürtige Berlinerin, die Theaterwissenschaft, Politikwissenschaft und am Mozarteum Regie studiert hat, relativ schnell klar. „Nachdem mir ein Freund das Buch empfohlen hat, habe ich erst einmal monatelang gelesen“, sagt sie über den 650-Seiten-Wälzer. „Ich habe dann schnell gemerkt, dass dieser Text eine wahnsinnige Kraft hat. Das ist ein Autor, der schreibt, um etwas zu finden: nämlich sich.“

Es geht um Emanzipation – von seinem faschistischen Vater, der einst bei den NS-Bücherverbrennungen in der ersten Reihe stand. Und auch von Gudrun Ensslin, mit der er ein Kind hatte und die ihn später für den RAF-Terroristen Andreas Baader verließ – übrigens der Anstoß für das Buch, das nach Vespers Selbstmord in der Psychiatrie 1971 unvollendet blieb. „Es geht um das Ringen um eine Haltung in der Welt. Um einen eigenen Weg.“

„Da konnte ich total andocken“

Konkrete Themen hin oder her – Vesper arbeitet sich etwa an der Frage ab, ob er sich den Linksextremisten anschließen solle oder nicht –, mit dem Ringen, mit der Suche nach dem Eigenen konnte Herm viel anfangen. „Das Buch war ja der Versuch, sich sozusagen zu befreien und das eigene Leben zu starten“, sagt die Regisseurin. „Das hat mich sehr fasziniert, und da konnte ich auch total andocken.“

Vielleicht auch, weil sie beim Lesen des Buchs ähnlich alt gewesen sei wie der Autor beim Schreiben, sagt die 33-Jährige. „Es ist kein Zufall, dass man an diesem Punkt noch einmal die Frage stellt: Was will ich von dem, was ich von der Familie, von der Gesellschaft und vom Umfeld mitbekommen habe, für mein eigenes Leben behalten? Und das ist auch etwas, das sich total anbietet, um es auf der Bühne zu erzählen.“

Für Herm persönlich – sie kommt aus einer 68er-geprägten Familie – habe das Buch durchaus auch einiges aufgeworfen. „Ich hatte das Gefühl, als würde ich im geheimen Tagebuch der Eltern lesen. Da stehen die Dinge drin, wie sie waren: schmerzhaft, widersprüchlich – auch unausgegoren. Das hat sich übertragen auf den eigenen Blick auf die Eltern und auf diese ganze Generation: Er ist nun verständnisvoller und entzaubernd zugleich.“

Um diese Generation noch besser zu verstehen, hat Herm eine umstrittene Figur eingeladen: die Ex-Terroristin Gabriele Rollnik, die an der Palmers-Entführung in Wien beteiligt war. Sie könne eine Perspektive auf Vesper beitragen, der sich letztlich nicht der Terrorbewegung anschloss. „Ich glaube an das Theater als Ort der offenen und kontroversen Debatte“, sagt Herm. „Ich muss ja nicht einer Meinung sein, aber es ist spannend, was es für Persönlichkeiten sind, die ihr Leben aufgeben für so eine übergeordnete Idee.“

ZUR PERSON

Kathrin Herm (33) ist in Berlin aufgewachsen, hat u.a. am Mozarteum studiert und Stücke an verschiedenen Bühnen inszeniert, etwa über die Journalistin Anna Politkowskaja. Mit dem Kollektiv Tangent inszeniert sie „Die Reise. Ein Trip“ nach Bernward Vesper. Die Premiere ist am 6. Februar im Werk X am Petersplatz in Wien. Am 8. Februar diskutiert Herm nach der Vorstellung im Werk X mit Ex-Terroristin Gabriele Rollnik, die 1977 an der Palmers-Entführung in Wien beteiligt war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2020)

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