Festkörperphysik

Ein neue Art von Anregungen

Forscherinnen an der TU Wien definieren ein neues Quasiteilchen – das π-ton –, das die Wechselwirkung von Licht mit Festkörpern beschreiben soll.

„Seit dem Frühling der modernen Physik ist die Wechselwirkung von Festkörpern mit Licht von primärem Interesse.“ Mit diesem schönen Satz beginnt ein soeben in Physical Review Letters (124, 047401) erschienener Artikel von Physikerinnen der TU Wien. Sie berichten, so die Presseaussendung, dass sie „ein neues Quasiteilchen entdeckt“ haben.

Da fragt man sich gleich: Was ist das, ein Quasiteilchen? Diesen Begriff hat uns der zweite Frühling der Quantenphysik beschert: die in den 1940er-Jahren vor allem in den USA entwickelte Quantenelektrodynamik (QED). Sloganhaft ausgedrückt: Während die Quantenmechanik sagt, dass jedes Teilchen auch eine Welle ist, dreht die QED den Spieß um und sagt, dass man überall Teilchen entdecken bzw. definieren kann. Zumindest dort, wo sich, wie im Reich der Quantenphysik üblich, eine Eigenschaft (z. B. Energie) sprunghaft – in einem Quantensprung – und nicht kontinuierlich ändert. Wenn etwa ein System – z. B. ein Atom oder ein ganzer Festkörper – von einem Zustand sprunghaft in einen energetisch höheren Zustand übergeht, „angeregt“ wird, dann kann man diese Anregung als Quasiteilchen sehen, das frisch entsteht und beim umgekehrten Vorgang wieder zugrunde geht.

Das Exziton reicht nicht aus

Genauso kann man das Fehlen eines Elektrons an einer Stelle im Kristall – ein Loch also – als Quasiteilchen beschreiben, das positiv geladen ist, weil ja das Elektron negativ geladen ist. Oder, noch komplizierter, die Anregung, die aus einem Elektron und einem Loch ein gebundenes Paar macht. Das nennt man ein Exziton, und solche Exzitonen wollten Anna Kauch und Petra Pudleiner an der TU Wien eigentlich in Computersimulationen behandeln, und zwar für Festkörper mit stark korrelierten Elektronen. Darunter versteht man Festkörper, bei deren Beschreibung man die Wechselwirkungen der Elektronen untereinander nicht vernachlässigen kann. Das macht die Theorie um einiges komplizierter und die Computerrechnungen viel aufwendiger.

Bei ihren Rechnungen erhielten Kauch und Pudleiner überraschenderweise keine Exzitonen, sondern andere Quasiteilchen, die jeweils aus zwei Elektronen und zwei Löchern bestehen. Sie nennen ein solches Quasiteilchen ein π-ton, weil es durch Wellen (der Ladungsdichte oder des Spins) zusammengehalten wird, die die gleiche Periodizität haben wie das Kristallgitter, vergleichbar mit einer Kosinuswelle, die bei 0 den Wert 1 hat, bei π den Wert –1, bei 2π den Wert 1 und so weiter.

Noch ist dieses π-ton ein rein theoretisches Konstrukt, wurde nur im Computermodell „entdeckt“. Doch laut TU deuten Messungen an Kristallen aus Samarium, Titan und Sauerstoff darauf hin, dass man die Wechselwirkung dieser Festkörper mit Licht tatsächlich am besten mit π-tonen beschreiben kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2020)

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