Wort der Woche

Bedrohte Tierarten

Eine Welt ohne große Tierarten wäre nicht nur in ethischer und ästhetischer Hinsicht ärmer, sondern auch aus ökologischen Gründen.

Wenn man Zeitgenossen mit dem Thema „bedrohte Tierarten“ konfrontiert, denken die meisten als Erstes an Tiger, Löwen und Elefanten. Danach folgen laut einer französischen Untersuchung Giraffen, Leoparden, Pandas, Geparden und Eisbären. Die Dominanz dieser ikonischen Arten in unserem Denken zeigt sich auch darin, dass die mediale Berichterstattung verzerrt ist: Wenn, wie dieser Tage, berichtet wird, dass in Südafrika weniger Nashörner gewildert wurden, findet sich das in vielen Medien an prominenter Stelle. Dass Wissenschaftler gleichzeitig vermeldeten, dass der Großteil der weltweit 2000 Glühwürmchenarten akut gefährdet ist (BioScience, 3. 2.), erfuhr man allenfalls auf Wissenschaftsseiten. Kein Wunder, wenn auch Naturschützer ihre Kampagnen gern mit ikonischen Tieren bewerben.

Es scheint völlig an der Realität vorbeizugehen, dass uns das Schicksal von einigen Handvoll Tierarten mehr bewegt als das von Abertausenden anderen Arten auf den Roten Listen. Doch ist das wirklich so? Das haben sich nun US-amerikanische und britische Forscher um Brian Enquist (University of Arizona, Santa Fe Institute) im Detail angeschaut – und sie kamen zu dem Schluss, dass die großen Arten (Megabiota) einen weit überproportionalen Einfluss auf das Funktionieren von Ökosystemen haben (Nature Communications, 4. 2.). Große Tierarten (Megafauna) machen 44 Prozent der Gesamtmasse aller Wildtiere aus und repräsentieren 18 Prozent des tierischen Stoffwechsels. Mehr noch: Große Tiere stehen in den Nahrungsketten weit oben und sind daher auch essenziell für das Recycling von Nährstoffen – ihre Exkremente und Kadaver dienen als wichtiger Dünger für karge Böden. Weiters sorgen große Tiere für eine weite Verbreitung von Samen. Und da sie typischerweise langlebig sind, können sie überdies Schwankungen der Umweltbedingungen ausgleichen. Dasselbe Phänomen findet sich auch im Pflanzenreich (Megaflora): Ein einziger riesiger Baum hat die Stoffwechselleistung von Tausenden kleineren Bäumen und bietet viel mehr anderen Arten einen Lebensraum.

Zusammenfassend meinen die Forscher, dass eine Biosphäre mit großen Tieren und Pflanzen produktiver und fruchtbarer ist, mehr Biomasse enthält und zudem resilienter gegen Störungen ist als eine Welt ohne sie. So gesehen ist es richtig, dass unsere Aufmerksamkeit vor allem den spektakulären, großen Arten gilt. Man sollte aber dennoch nicht auf die vielen gefährdeten Mäuse, Mücken, Muscheln und Moose vergessen.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator beim AIT.

meinung@diepresse.com

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