Konzert

Rin: Die ganze Welt ist hier Bietigheim

Rapper Rin (Archivbild).
Rapper Rin (Archivbild).(c) imago images / Martin Müller (via www.imago-images.de)
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Der Cloudrap von Rin lebt von Widersprüchlichkeiten – im Gasometer wurde er gefeiert.

„Ey this is the world that you know“, sang Rin einleitend. Der Song hieß „Bietigheimication“ und war eine Variante der „Californication“, die einst von der funky Rockband Red Hot Chili Peppers beschworen wurde. Bietigheim ist jener fade Flecken vor Stuttgart, der der Welt nicht nur Bausa, sondern auch den großen Melodiker Rin geschenkt hat. Sich genau diese Welt kleiner zu machen, ist für viele die einzige Möglichkeit, die Perspektivlosigkeit zu ertragen, die sich aus mangelnder Bildung und null Interessen ergibt.

Und doch ist Cloudrap mehr als bloß Plattenbaumusik. Auch bei Rin. Irgendwie zwischen seinen genüsslich gerappten Markennamen und dem offensichtlich unvermeidbaren Drogengeschwafel finden sich interessante Gedankenpartikel. „Denn in meiner Welt sind alle tot, wie ein Rockstar“ hieß es da im Opener. Ein genüsslicher Hinweis darauf, dass der 50 Jahre die Popmusik dominierende Rock ein Ablaufdatum haben könnte. Rin stand wie immer allein mit seinem DJ auf der Bühne. Als klangliche und visuelle Assistenz dienten ihm Dampfdüsen, die rhythmisch Druck abließen. Darüber freute sich Rin immer noch wie ein Kind. Und auch über die Publikumschöre und wüsten Moshpit-Wirbel. „Im nächsten Song geht's um meine Uhr“, verkündete er gut gelaunt, schon schossen die Beats von „Avirex“ an das Ohr. Der Rolex wurde erst später, im Song „Vintage“, gehuldigt.

Der illiterate Ghettoboy

Rapper wie Rin sind selbstverständlich auch Übertreibungskünstler. Vision und Depression wechseln nachgerade rhythmisch. In „Hollywood“ geißelte er den kollektiven Traum vom Erfolg als Klischee. „Wir wollen alle nach Hollywood wie Nascar, Träume in der S-Bahn, geblendet von den Lichtern dieser Weltstars.“ Dabei ist er, der illiterate Ghettoboy, längst selbst ein Star. Seine Fans, größtenteils zwischen 16 und 20 Jahre alt, singen seine mehrdeutigen Lieder aus vollem Herzen mit. Bei „Fabergé“ wurden die Chöre zum ersten Mal an diesem Abend so richtig laut. Es folgten geschmeidige Hits wie „Monica Belucci“ und das skurrile „Keine Liebe“, in das textliche Elemente einer Gruselnummer der 90er-Jahre-Rockschwachmatenband Pur eingearbeitet waren. Ursprünglich mit Bausa eingesungen, fehlte live die Zweitstimme. Das schmerzte.

Leichtsinnig stellte Rin in Aussicht, Publikumswünsche zu erfüllen. „Bianco! – Bianco!“-Rufe waren die Folge. Aber sein einstiger Duettpartner Yung Hurn kam nicht aus den Kulissen. Auch die Titelnummer des aktuellen Werks, „Nimmerland“, aufgenommen mit der heimischen Band Bilderbuch, bekam kein Feature. Nicht einmal das Gitarrensolo konnte der DJ auf Konserve entriegeln. Rin sang das Stück einzig zu groben Rhythmen.

Davon abgesehen war es aber einmal mehr eine große Feierstunde aktuellen Renegatentums. „Dior 2001“, „Bros“ und „Blackout“ sorgten für kollektive Raserei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2020)

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