Wahlen

Irans Hardliner basteln sich ihre Parlamentswahl

Irans Volk hat kaum eine Wahl. Szene aus dem Großen Basar in Teheran. Angesichts kräftiger Manipulationen im Vorfeld der Parlamentswahl am Freitag dürften viele Iraner dieser fernbleiben.
Irans Volk hat kaum eine Wahl. Szene aus dem Großen Basar in Teheran. Angesichts kräftiger Manipulationen im Vorfeld der Parlamentswahl am Freitag dürften viele Iraner dieser fernbleiben.(c) APA/AFP/ATTA KENARE (ATTA KENARE)
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Der islamische Wächterrat siebte vor der Wahl am Freitag fast alle Kandidaten aus, die keine konservativen Hardliner sind. Kritik daran von Präsident Rohani wurde abgeschmettert. Der Volkszorn wächst, viele wollen die Wahl boykottieren.

Teheran. Hassan Rohani ließ seinem Zorn freien Lauf. „Bitte erzählt dem Volk nicht, es gebe 17.000, 1700 oder 17 Kandidaten für jeden Parlamentssitz, wenn die alle aus einer einzigen Fraktion stammen“, polterte Irans Präsident bei einer live im Staats-TV übertragenen Kabinettssitzung. „Das ist keine echte Wahl. Das ist wie ein Laden, der einen einzigen Artikel anbietet, und davon 2000 Stück.“

Das Volk wolle aber politische Vielfalt. „Also erlaubt allen Parteien, bei der Wahl anzutreten.“ Das Land könne nicht nur von einer einzigen Gruppierung geführt werden. „Die Nation gehört allen.“

Was den 71-Jährigen so erzürnte, war das Vorgehen des ultraorthodoxen Wächterrats. Vor der Parlamentswahl am Freitag disqualifizierte das allmächtige Altherrengremium rund 7300 der 14.400 Kandidaten, darunter 90 Mitglieder der aktuellen 290-köpfigen Volksvertretung. Mit der selbst für Irans Verhältnisse beispiellosen Intervention ist die Wahl an sich entschieden: Fast alle Reformer wurden ausgebootet. Im ausgesiebten Kandidatenfeld sind Hardliner und Ultrakonservative fast unter sich. Daran wird das Aufbegehren von Rohanis Kabinett nichts ändern, das demonstrativ einen Gesetzesentwurf ins Parlament schickte, der die Rechte des Wächterrats per Referendum schmälern soll.

Die Antwort des Obersten Revolutionsführers Ali Khamenei kam schnell. Irans Parlamentswahl sei eine der vorbildlichsten auf der Welt, belehrte er den aufmüpfigen Rohani, ohne seinen Namen zu nennen. „Wer lügt und behauptet, die Wahl sei manipuliert, entmutigt die Bevölkerung.“ Explizit nahm er den Wächterrat in Schutz. Das sei ein „vertrauenswürdiges Gremium“, dem niemand Parteilichkeit vorwerfen könne.

Noch 2016 hatte Rohani, vom Volk nach Abschluss des Atomvertrages als Hoffnungsträger gefeiert, den Reformern im Parlament zu einer knappen Mehrheit verholfen. Doch danach passierte viel, was die Moderaten in die Defensive brachte. Der erhoffte Wirtschaftsaufschwung blieb aus, Donald Trump kündigte den Atomvertrag und erließ harte Sanktionen, die Irans Wirtschaft plagen. Im Jänner, nach der Hinrichtung des populären Generals Qasem Soleimani durch US-Drohnen in Bagdad, standen beide Länder am Rand eines Kriegs. Nach dem Abschuss eines ukrainischen Passagierjets über Teheran ließ die Führung der Garden sogar die eigene Regierung tagelang im Unklaren, bevor sie das tödliche Versagen zugab.

Es kocht im Volk

Die Islamische Republik, die vorige Woche ihren 41. Jahrestag feierte, erlebte 2018/2019 das bisher größte Aufbegehren im Volk. Überall revoltierten Hunderttausende gegen Armut und Arbeitslosigkeit, Zwang und Zensur sowie gegen die undurchsichtigen Ausgaben für die Revolutionsgarden und deren verbündete schiitische Milizen im Irak, Libanon und in Syrien. Die Hälfte der 83 Millionen Iraner lebt in Armut. 2019 schrumpfte die Wirtschaft um zehn Prozent. Die Inflation ist nicht zu bändigen, die Währung praktisch kollabiert.

Der Mob zündete Tankstellen an und verwüstete Bankgebäude, es waren Szenen wie in einem Bürgerkrieg. Sechs Tage lang kappten die Machthaber das Internet und verwandelten ihr Land in eine Black Box. Fast nichts drang nach außen von der rasenden Brutalität, mit der Schläger des Regimes gegen die meist jungen Demonstranten vorgingen. Vermutlich starben bis zu 1500 Protestierer im Feuerhagel der Revolutionären Garden. Mehr als 7000 wurden verhaftet.

Auch im Vorfeld der Wahl gingen die Repressionen weiter. Der Geheimdienst der Revolutionswächter, die wie ein Staat im Staat agieren, nahm Aktivisten, Journalisten und Blogger fest, durchsuchte Wohnungen, beschlagnahmte Computer und Smartphones. Mehreren Journalisten wurde mit Gefängnis gedroht. Jede Äußerung in sozialen Medien, die Ansichten des Revolutionsführers widerspricht, gelte als Gefahr für die nationale Sicherheit, sagten die Verhörbeamten. Im Index für Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt der Iran auf Platz 170 von 180, in der Nähe von Staaten wie Nordkorea, Saudiarabien, Syrien und Eritrea.

„Die Wahl ist sinnlos“

Angesichts der Manipulationen der Kandidatenlisten machen sich im Volk Zynismus und Apathie breit. Anders als vor vier Jahren, als rund 60 Prozent der Wahlberechtigten abstimmten, wollen nun viele zu Hause bleiben. „Es ist sinnlos“, beschrieb ein Händler in Teheran die Stimmung. Die Reformgegner frohlocken. Ihnen würde eine geringe Wahlbeteiligung einen haushohen Sieg schenken. Der Atomvertrag wäre endgültig passé, zugleich aber auch für Jahre die Hoffnung auf ökonomische Besserung.

Wie das Volk auf die Intrigen der Hardliner reagiert, werden die nächsten Monate zeigen. Vordenker der Reformer wie Said Hajjarian plädieren dafür, die „sinnlose“ Parlamentswahl ganz fahren zu lassen und sich auf die Präsidentenwahl 2021 zu konzentrieren.

Hintergrund

Am Freitag wird Irans Parlament, die Majlis, gewählt. Das 290-köpfige Gremium hat de facto wenig zu sagen, und der religiöse Wächterrat siebt vor Wahlen die meisten Kandidaten aus, die reformfreudig-weltlich sind. Heuer war das besonders extrem: Rund die Hälfte von 14.400 Kandidaten fiel durch, übrig blieben fast exklusiv Konservative.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2020)

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