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Kinder, so cool war Britannia!

„Wonderwall“ ließ er aus, sonst zeigte sich Liam Gallagher im Wiener Gasometer nostalgisch.
„Wonderwall“ ließ er aus, sonst zeigte sich Liam Gallagher im Wiener Gasometer nostalgisch.APA/GEORG HOCHMUTH
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Der gern wütende Ex-Oasis-Sänger Liam Gallagher gab im Wiener Gasometer mit viel Nostalgie die einzige Zirkusnummer, die er beherrscht: den Rock'n'Roll-Star.

Was waren das noch für Zeiten, als sich Liam Gallagher mit seiner zukünftigen Exgattin Patsy Kensit auf Union Jacks räkelte, um aufs Cover der „Vanity Fair“ zu kommen! 1997 passierte das. Die britische Ökonomie boomte, London brummte, und die Rockmusik krachte. Heute, fast ein Vierteljahrhundert später, ist Cool Britannia längst Geschichte – und nur mehr die verbohrtesten Brexit-Befürworter legen sich auf diese Flagge. Heutige Bekenntnisse zur Nation haben nichts mehr mit Optimismus zu tun. Sie sind Teil eines chauvinistischen Rückzugsgefechts weg von der EU. Das heutige London ist entschieden steriler und damit kulturell längst nicht mehr so ergiebig wie das damalige.

Leider ein Oasis-Gedächtnisabend

Und die Rockmusik? Die ist wieder einmal am Aussterben. So werden Sänger wie der 47-jährige Liam Gallagher heute wie Fossile bestaunt. Wie er in einem weißen Parka im Schutze eines fast industriell klingenden Schabens und Kratzens auf die Bühne des Gasometers schritt und sofort mit Brüllen, Heulen und Zähneknirschen seine gesangliche Visitenkarte überreichte, das hatte etwas Rührendes. Vor ihm wogte ein Meer aus Jüngern, nicht so wenige davon weiblich. „In my mind, my dreams are real“, hustete er, ein wenig verkühlt, bei der Eröffnungsnummer „Rock'n'Roll Star“ ins Mikro.

Eigentlich ist er ja mit seinem vorzüglichen zweiten Soloalbum „Why Me? Why Not“ auf Tour. Daraus sang er leider nur fünf Lieder, vom Solodebüt gar nur zwei. Und Songs seiner nach dem Abfall von Bruder Noel gegründeten Band Beady Eye waren gar keine dabei. So wurde das Konzert leider wieder einmal zu einem Oasis-Gedächtnisabend. Wenigstens ließ er „Wonderwall“ aus. Wohl aus erzieherischen Gründen, weil ihn gleich zu Beginn im Gasometer ein Becher getroffen hatte. Vielleicht aber auch, weil ihm die nostalgiegeilen Pseudomods vom Kontinent mittlerweile mächtig auf den Geist gehen. Obwohl, hoppla, der Mann ist doch selbst am allermeisten in die Vergangenheit verknallt. Zu seiner Ehrenrettung: nicht unbedingt in die eigene. Gallagher idealisiert die Ära der Beatles, ließ seinen ersten Sohn sogar Lennon taufen. Ungeniert wie John Lennon klingt er in „Once“, seiner aktuellen Hymne auf Vergangenheitsverliebtheit. „It was easier to have fun back when we had nothing“: So muss Sozialromantik klingen. Wie schön wäre ein Album voll solcher melodiöser Lieder! (Die zuweilen an I Am Kloot erinnern, eine Band, die ebenfalls aus Manchester stammt.)

Aber Gallagher ist realistisch genug, sein Schicksal zu akzeptieren. Und so lässt er auch für seine Solokarriere Lieder im Duktus der Oasis-Hymnen komponieren. Wohl weil es so heikel ist, vergibt er diese Aufträge an Amerikaner wie Greg Kurstin und Andrew Wyatt. Diese basteln ihm formschöne Grölvorlagen. „Shockwave“ etwa, das auch in Wien für nicht zu wenig Glückseligkeit sorgte. Da heulten die drei Sängerinnen mit Inbrunst, und die Gitarrenfraktion kam auf Betriebstemperatur. Darunter Oasis-Original-Gitarrist Paul „Bonehead“ Arthurs. Er will halt auch beschäftigt sein.

„Acquiesce“: Fast philosophisch

Obwohl Gallagher in Wien zwei Songs weniger spielte als an anderen Orten dieser Tour, kam er auf zehn Oasis-Songs. Gut Abgehangenes wie „Morning Glory“ und „Live Forever“ wurde lust- und würdevoll zelebriert. Schöner waren unterschätzte Kracher wie „Gas Panic!“ und „Acquiesce“, in dem sich Gallagher als beinah philosophischer Grübler vorstellte: „I don't know what it is that makes me feel alive“, rätselte er mit herbem Charme. Vielleicht hält ihn just seine Ignoranz fidel – auch, was Entwicklungen anbelangt, die ihm wenig liegen. Die Welt mag auf Hip-Hop oder Grime fliegen, er bleibt der ewige Rocker. Als ob er direkt sein Publikum adressieren würde, fantasierte er: „We believe in one another, I know we're going to uncover what's sleepin' in our soul.“ Besser lässt sich die subtile Gefährlichkeit, die Liam Gallagher ausstrahlt, kaum fassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2020)

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