Fahrbericht

BMW X6: Am Kaminfeuer der Alphatiere

Fast drei Meter Radstand: Die Platzverhältnisse im neuen X6 entsprechen nun auch den opulenten Abmessungen.
Fast drei Meter Radstand: Die Platzverhältnisse im neuen X6 entsprechen nun auch den opulenten Abmessungen.(c) Clemens Fabry/Die Presse (Clemens Fabry)
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Der BMW X6 kennt in dritter Generation keine Altersmilde: noch länger, noch breiter, noch mehr am Polarisieren. So wollen ihn seine Fans, und so darf er seinen Gegnern weiterhin als Objekt der Verdammung dienen.

Man könnte sagen: Mit diesem Auto hat alles begonnen. Was genau? Dass Menschen, die sich zuvor vielleicht ein sportliches Coupé oder elegantes Cabrio angelacht hatten, plötzlich begannen, sich in zweieinhalb Tonnen schweren Trutzburgen zu verschanzen. Deren Anblick ist mittlerweile alltäglich, denn was im Jahr 2008 mit dem BMW X6 begann, hat längst auch bei anderen Herstellern Schule gemacht: das zum „Coupé“ verbrämte Prestige-SUV.

Dessen ganz eigene Kulturleistung: Was im großen Allradwagen noch als berechtigte Erfordernis an eine gewisse Zweckmäßigkeit gelten kann – Platz, Geländegängigkeit –, ist im tiefergelegten und „coupéhaft“ zugeschnittenen Format brüsk abgeschüttelt, von der Nutzlast des Praktischen befreit. Was bleibt: schiere Masse zur physischen Darstellung von Überlegenheit, jedenfalls mechanischer. „Alphatier“ nennt BMW den X6 denn auch.

Feinsinniger Schöpfer

Interessanterweise ist der Schöpfer des X6 der überaus fein- und kunstsinnige Chris Bangle, der in seiner Zeit als oberster Designer der Marke einige echte Ikonen geschaffen hat, darunter fraglos auch diese. Bangle, der sich mit dem X6 doch einiges getraut hatte, bewies den richtigen Instinkt: Die Baureihe wurde aus dem Stand zum Erfolg für BMW, war geradezu sehnlich erwartet worden.

Das Heck ist nicht seine schönste Seite.
Das Heck ist nicht seine schönste Seite. (c) Clemens Fabry/Die Presse (Clemens Fabry)

Zweifellos: So ein Auto passiert einem nicht. Besitzer der Baureihe sind meist auch Fans, die sich den Tag von kulturpessimistischer Miesepetrigkeit (wie der eingangs formulierten) ebenso wenig verderben lassen wie von ökologischen Einwänden. Von der Energie, die allein die obligaten Breitreifen – drunter funktioniert es optisch nicht – in die Straße ableiten, könnte vermutlich ein Kleinwagen zehren. Die serienmäßige Radgröße von 19 Zoll ist für Anfänger.

Duckt sich

In dritter Generation zeigt der X6 keine Anflüge von Altersmilde. Er ist länger (+26 mm) und breiter (+15 mm) als der Vorgänger, wobei der Radstand markant (+42 mm) zugelegt hat und nah am Gardemaß von drei Metern hält. Damit entsprechen die Platzverhältnisse nun einigermaßen der Ausdehnung – hinten kann ein Erwachsener ohne Nöte im Fußraum sitzen. In der Höhe duckt sich der Neue einen Hauch (–6 mm), ragt also knapp unter 1,7 Meter auf.

(c) Clemens Fabry/Die Presse (Clemens Fabry)

Der Kühlergrill ist auf die Größe eines kleinen Eisentors angewachsen, durch das Kinder spielend kraxeln könnten, wäre es nicht vergittert. Mit der Option „Iconic Glow“ sind die Lamellen indirekt beleuchtet, es glimmt der Kühlergrill also im Dunkeln als Kaminfeuer der Alphatiere, oder eher ihrer Bewunderer auf der Straße, denn nur von dort ist er ja sichtbar.

Wo jede Kunst versagt, ist das Heck. Es ist der ästhetische Hinterhof des Autos, ein triste Auftürmung von Schmuck und Funktionselementen bis zur erforderlichen Bauhöhe. An dieser Stelle muss man erwähnen, wie gut der Ur-X6 gealtert, ja gereift ist. Bangles Wurf fehlt das Martialische des Neuen, auch sein Heck ist klar strukturiert, wirkt sauber und aufgeräumt. Hätte man auch nicht gedacht, dass sich derlei einmal als Klassiker qualifizieren könnte.

Keine kleinen Gebinde im Motorraum, unter sechs Zylindern spielt es nichts; wir hatten gar das rare Vergnügen eines Achtzylinders, der dem Auto Würde und Gelassenheit verleiht. Um den X6 gemessen, aber freudvoll zu bewegen, braucht es die optionale Allradlenkung, erst sie macht den Koloss behände und zum Freund der flotten Kurve. Während das Cockpit mit Manufaktur-Anmutung glänzt – es sei nur der gläserne, funktionell aber ärgerlich fiddelige Wahlhebel der Automatik erwähnt –, trübt die schiere Fahrzeugbreite von über zwei Metern (ohne Spiegel) den Fahreindruck. Die Karosserieübersichtlichkeit geht sowieso gegen null; wo das Auto endet und Hindernisse beginnen, kann man nur ahnen. Rundumkameras helfen beim Rangieren, zaubern aber auch nicht mehr Platz. Das Abenteuer Tiefgarage wartet.


BMW X6 M50I
Maße: L/B/H: 4935/2004/1696 mm, Radstand: 2975 mm, Leergewicht (EU): ab 2310 kg, Kofferraumvolumen: 580-1530 Liter

Motor: V8-Zylinder-Otto-Turbo, 4395 ccm, Leistung: max. 390 kW (530 PS) bei 5500-6000/min, Drehmoment: max. 750 Nm bei 1800-4600/min, 0-100 in 4,3 sec, Vmax: 250 km/h,  Testverbrauch: 12,8 l/100 km, Allradantrieb, 8-Gang-Automatik

Preis: ab 120.850 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2020)

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