Interview

Martin Hartmann: „Wer vertraut, der macht sich verletzlich“

Wir sollten Menschen vertrauen, nicht Institutionen oder Marken, rät Philosoph Martin Hartmann.
Wir sollten Menschen vertrauen, nicht Institutionen oder Marken, rät Philosoph Martin Hartmann.(c) Getty Images/EyeEm
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Kein Philosoph im deutschen Sprachraum denkt so intensiv über Vertrauen nach wie Martin Hartmann. Ein Gespräch über Corona-Panik, Trumps Lügen, Vertrauensverlust durch Migration, SUV-Fahrer und Klimawandel-Leugner.

Die Presse: Die Vorsichtsmaßnahmen gegen das Coronavirus sind enorm, aber die Angst bleibt. Fehlt es uns an Vertrauen?

Martin Hartmann: Wir leben sicherer, gesünder und länger als früher. Aber wir erwarten, dass es gar keine Ausnahmen mehr gibt, dass wir unverletzlich sind. Wenn dann doch einmal ein Problem auftaucht, reagieren wir extrem empfindlich. Die gestiegene Sicherheit macht uns unfähig, mit Unsicherheit umzugehen  – das ist das Paradox. Beim Coronavirus merken wir deutlicher als sonst: Es ist eine Illusion, alles unter Kontrolle halten zu können. Dieses Risiko ist nicht kalkulierbar. Da kommt das Vertrauen ins Spiel, denn es ist eine Kategorie der Ungewissheit: Man kann nur hoffen.

Trump und Putin lügen offen. Damit verlieren sie aber nicht das Vertrauen ihrer Anhänger, sondern festigen es. Warum?

Mit der offenen Lüge wird etwas zusätzlich kommuniziert: Dreistigkeit, Macht, auch Volksnähe – ich bin wie ihr, wir lügen ja alle im Alltag. Die Populisten greifen die rechtsstaatlichen Kontrollinstanzen an. Wenn diese uns nicht mehr schützen können, bleibt nur noch der starke Einzelne übrig, der seinen Willen durchsetzt, mit allen Mitteln. Für seine Anhänger ist die beste Haltung dann bedingungslose Unterstützung. Und wir alle konzentrieren uns nur noch auf den Anführer: Wir lieben oder hassen ihn.

Studien behaupten: Ethnisch-kulturelle Vielfalt schadet dem Vertrauen in der ganzen Gesellschaft. Was sagen Sie dazu?

Ich habe hier auch methodische Zweifel. Aber nehmen wir an, es stimmt: In Großstädten sinkt das Vertrauen – dann ist das per se nichts Negatives. Denn in ethnisch homogeneren Gruppen ist das Vertrauen ja nur nach innen stärker. Man baut Mauern um sich auf. Nach außen wird Misstrauen projiziert, auch gegenüber all jenen Fremden, die vertrauenswürdig sind. Das ist ungerecht, und es kann böse enden. Vertrauen kann auch negative Seiten haben. Alle Studien zum Populismus zeigen ein massives Stadt-Land-Gefälle: Menschen, die in Innenstädten leben, sind toleranter als Menschen am Land, wo es kaum Migranten gibt.

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