EU-Kommission

Wirtschaft schrumpft, doch EU hat nur begrenztes Arsenal

Maarten Verwey, Generaldirektor für Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Maarten Verwey, Generaldirektor für Wirtschafts- und Finanzpolitik.(c) imago sportfotodienst (imago sportfotodienst)
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Notfall erlaubt erhöhte Beihilfen, flexibler Stabilitätspakt höhere Schulden. Frisches Geld kann Brüssel jedoch nicht einsetzen.

Brüssel. Was sich seit Wochen immer klarer abzeichnete, ist nun amtlich bestätigt: Das Jahrzehnt der wirtschaftlichen Erholung nach dem Finanzkrach von 2008 ist zu Ende. Europas Wirtschaft schrumpft wegen der Eskalation der Coronakrise.

„Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Wachstum in der Eurozone und in der gesamten Europäischen Union heuer unter null fallen wird, und möglicherweise sogar deutlich unter null“, sagte Maarten Verwey, in der Europäischen Kommission Generaldirektor für Wirtschafts- und Finanzpolitik, am Freitag bei einer Pressekonferenz. Wie stark diese Rezession heuer ausfallen dürfte, haben Verweys Ökonomen folgendermaßen beziffert: Das reale Wirtschaftswachstum werde heuer um 2,5 Prozentpunkte gegenüber einer Situation sinken, „in der es keine Pandemie gibt“. Erst im Februar hatte die Kommission der EU ein Wachstum von 1,4 Prozentpunkten für heuer vorhergesagt. Also würde die Konjunktur um mindestens einen Prozentpunkt zurückgehen. Ob sie diesen Rückschlag 2021 wettmachen kann, steht in den Sternen.

Von der Leyens Feuertaufe

Diese schwere Krise wirft die klima- und digitalpolitischen Pläne der neuen Kommissionspräsidentin über den Haufen. Ursula von der Leyen ist nun im Krisenmodus. Am Freitag stellte sie jene Maßnahmen vor, mithilfe derer die Kommission die bereits sichtbaren Schäden in zahlreichen Branchen mindern zu können hofft. Im Groben sind das drei Stoßrichtungen: Erstens hält die Kommission im bisher am schwersten getroffenen Italien jene Bedingungen für erfüllt, um erhöhte nationale Staatsbeihilfen für Firmen zu gestatten.

Das erlaubt Artikel 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, wenn es zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats kommt. Die Pandemie erlaube es den übrigen Mitgliedstaaten, ebenfalls auf Basis von Artikel 107, direkt geschädigte Unternehmen zu entlasten, temporäre Steuersenkungen einzuführen, Löhne und Gehälter zu subventionieren oder Konsumenten für annullierte Leistungen zu entschädigen.

Zweitens schlägt die Kommission den Finanzministern vor, jene Klausel im Stabilitäts- und Wachstumspakt zu aktivieren, welche den Mitgliedstaaten höhere fiskalpolitische Stützungsmaßnahmen – und somit höhere Neuverschuldung – gestattet.

Von der Leyens dritter Handlungsstrang ist problematisch. Denn frisches Geld aus dem EU-Haushalt kann sie nicht bereitstellen, um den notleidenden Staaten zu helfen. Die zunächst mit 25, am Freitag mit 37 Milliarden Euro bezifferte Coronavirus-Investitionsinitiative funktioniert nämlich so: Die Kommission verzichtet darauf, dass die Staaten rund acht Milliarden Euro an Kohäsionsförderungen, die auszugeben sie nicht fähig waren, zurückzahlen müssen. Dieses Geld können sie stattdessen als Co-Finanzierung einsetzen, um 27 Milliarden Euro an bis zum Jahresende budgetierten weiteren Kohäsionsmitteln nicht zu verlieren.

Sprich: Das ist eine reine Liquiditätsmaßnahme, die verhindern soll, dass Staaten, die nicht in der Lage waren, EU-Subventionen auszugeben, diese nun verlieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2020)

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