Interview

Anschober: „Nächste Woche neue Tests in großem Ausmaß“

Hat sich selbst noch nicht testen lassen: Gesundheitsminister Rudolf Anschober.
Hat sich selbst noch nicht testen lassen: Gesundheitsminister Rudolf Anschober.Die Presse
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Gesundheitsminister Rudolf Anschober verspricht neue Testformen ab nächster Woche. Eine Überwachung der Quarantäne via App hält er nicht für nötig. Die Sicherheitsmaßnahmen in Betrieben sollen überprüft werden.

Die Presse: Man hatte lang das Gefühl, dass die Lage zwar ernst, aber im Griff sei. Vergangenen Samstag scheint sich diese Einschätzung aber plötzlich geändert zu habe. Was ist da passiert?

Rudolf Anschober: Wir haben immer gewusst, dass sich die Situation zuspitzt, wenn es eine globale Pandemie wird. Dann haben sich die Zahlen in Italien noch einmal dramatisch entwickelt und es gab auch in anderen europäischen Ländern sprunghafte Anstiege. Auch unsere eigenen Fallzahlen haben von Mittwoch bis Sonntagfrüh einen Anstieg von zirka 200 auf 800 gezeigt – das war genau die Exponentialkurve, die wir gefürchtet haben. Deswegen haben wir bereits vorbereitete Maßnahmen vorgezogen. Gleichzeitig haben wir auch gemerkt, dass die Appelle, soziale Kontakte zu reduzieren, zwar von zirka 80 Prozent eingehalten wurden, aber dass es einen kleinen, aber harten Kern gibt, den das völlig kalt gelassen hat. Daher mussten Grundgebote, wie etwa einen Meter Abstand einzuhalten, von oben vorgegeben werden.

Einige Experten sagen, dass ohnehin 60 bis 70 Prozent der Menschen erkranken werden. Eine düstere Aussicht für Risikogruppen – teilen Sie die Einschätzung?

In Wirklichkeit wissen wir es nicht. Es gibt verschiedene Aussagen der Virologen. Aber egal wie viel Prozent es sind, wichtig ist, einen Peak mit zehntausenden Erkrankungen zu vermeiden.

Manche sagen: Besser, es erwischt einen früh, dann funktioniert wenigstens das Gesundheitssystem noch. Ist das Unsinn?

Ich halte diese These für gefährlich: Stellen Sie sich vor, das denken 30 Prozent der Bevölkerung, dann wird es für die Spitäler dramatisch.

Wird eigentlich daran gedacht, im Notfall praktische Ärzte zur Arbeit im Spital zu verpflichten?

Nein, wir brauchen die praktischen Ärzte dort, wo sie sind. Statt die Ärzte wandern zu lassen, wollen wir, dass es möglichst wenige Zuweisungen von den niedergelassen Ärzten ins Spital gibt.

Kann man für Arbeiten wie Abstriche Medizinstudenten zur Entlastung einsetzen?

Ja, diese Tätigkeiten können auch von Nicht-Medizinern durchgeführt werden.

Ein Land, das gut mit dem Virus umgegangen ist, ist Südkorea. Was ist das Wichtigste, was man von dort lernen kann?

Südkorea hat viel Erfahrung mit regionalen Epidemien. Daher waren die Behörden gut vorbereitet und die Bevölkerung hat das – klassisch asiatisch – konsequent umgesetzt.

Es lag also auch an den Leuten?

An beiden. Ich denke, Krisen sind dort einfach präsenter, auch wegen der Situation mit Nordkorea. Deshalb ist man besser vorbereitet.

In Südkorea wird die Quarantäne via App überwacht. Können Sie sich das auch für Österreich vorstellen?

Eigentlich nicht. Die Einhaltung der Quarantäne funktioniert ohnehin extrem gut. Wir überprüfen das stichprobenartig persönlich und kontrollieren das mit Anrufen.

Ein großes Thema sind Tests. Leute beschweren sich, dass sie sehr lange darauf warten oder überhaupt nicht getestet werden. Wann wird es mehr und schnellere Tests geben?

Eine flächendeckende Testung der Bevölkerung bringt nichts. Nur innerhalb der Grippeerkrankten haben wir– ohne es an die große Glocke zu hängen – Kontrolltests gemacht, weil wir den Teil des Eisbergs, den wir nicht sehen, einschätzen wollten. Erfreulicher Weise ging dort das Ergebnis gegen Null. Mehr testen werden wir aber im Bereich der Gesundheitsberufe. Denn bei einem Krankheitsfall in der Gruppe können in den Spitälern ganze Abteilungen ausfallen. Was neue Testformen betrifft, werden diese nächste Woche in großem Ausmaß verfügbar sein. Wobei ich appellieren will, dass man sich nur testen lässt, wenn es einen Anlass gibt. Wir wissen inzwischen, dass es in 70 bis 75 Prozent drei wesentliche Symptome für Corona gibt: stark erhöhtes Fieber, Husten und Atemnot.

Haben Sie sich selbst eigentlich schon testen lassen? Als Politiker hat man viel Kontakt.

Nein. Ich hatte bisher keine Symptome und ich hoffe, es bleibt auch so. Aber ich kontrolliere täglich meine Temperatur.

Kann man aus den bisherigen Testergebnissen eigentlich schon Erkenntnisse herausfiltern?

Ja, mit über 8000 Tests kann man repräsentative Aussagen machen. Wir sehen, dass bei uns überraschend viele relativ Jüngere betroffen sind, hauptsächlich die Gruppe zwischen 35 und 55 Jahren. Das erklärt auch, warum die Zahl von relativ harmlosen Krankheitsverläufen bei uns noch höher ist als international.

Möglicherweise hat das auch mit dem Ursprung mehrere Fälle zu tun, die von Après-Ski-Bars ausgingen. Eine dieser Bars ist in Ischgl. Dort wurde ein Barkeeper positiv getestet, danach war die Bar noch zwei Tage im Betrieb. Laut Tiroler Landessanitätsdirektion war „eine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich“. Können Sie sich das erklären?

Ich habe dazu keine Detailinformation und will das daher nicht beurteilen, aber ja, das überrascht mich.

Wird man sich den Fall noch genauer anschauen?

Na, sicher. Wenn wir hoffentlich gut durch die Krise gekommen sind, beginnt generell die Evaluierung. Nur wer aus Krisen lernt, wird weiter besser.

Mit dieser Woche gibt es strenge Regeln für das Freizeitverhalten. Ich selbst und auch Kollegen hören von Fällen, in denen der Alltag in Unternehmen ohne Endkundenkontakt weitergeht wie bisher – ohne Sicherheitsmaßnahmen. Ist das sinnvoll?

Das Wichtigste ist, immer einen Meter Mindestabstand einzuhalten. Das gilt natürlich auch für die Betriebe. Da gibt es keinen Unterschied zwischen einem Park oder einem Büro.

Wird es Kontrollen in den Betrieben geben?

Ich habe heute einen Telefontermin mit der Wirtschaftskammer. Da werden wir auch über stichprobenartige Kontrollen reden. Ich nehme an, dass hier Vorschläge zur Umsetzung kommen.

Zum Schluss: Welche sind für Sie bisher die große Lehren, die die Gesundheitspolitik aus der Pandemie ziehen muss, sobald die akute Krise vorüber ist?

Zum einen muss das Epidemiegesetz novelliert werden. Dann braucht es eine Organisationsreform im Ministerium, damit wir in Krisensituationen schneller handeln können. Und drittens muss man, wie ich schon vorgeschlagen habe, auf europäischer Ebene die Abhängigkeit von der Medikamentenproduktion am asiatischen Markt angehen. Es braucht eine abgesicherte, europäische Eigenproduktion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2020)

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