Voll das Leben in der Kunst

Der 2010 verstorbene Christoph Schlingensief in seiner Ausstellung in Salzburg 2006. Titel: "Chickenballs. Der Hodenpark".
Der 2010 verstorbene Christoph Schlingensief in seiner Ausstellung in Salzburg 2006. Titel: "Chickenballs. Der Hodenpark".(c) APA (FRANZ NEUMAYR)
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Gestern war es dann auch bei mir so weit. Es ist nicht schön, wenn einen die geahnte eigene Unnötigkeit so offensichtlich vor Augen geführt wird. Also erzähle ich Ihnen eben von meiner Matura in bildender Kunst, bei der ich mich auszog. Leider.

Gestern war es dann auch bei mir so weit. Es ist nicht schön, wenn einen die geahnte eigene Unnötigkeit so offensichtlich vor Augen geführt wird. Ich meine - Kunstkritikerin. Das ist zurzeit gefühlt die letzte die man in einer Redaktion, die die Welt überhaupt braucht. Deswegen blogge ich jetzt täglich. Scherz. 

Nein, nicht ganz. Das ist zwar einerseits extrem persönlich, nur dazu da, dass ich mich selbst wieder ein bisschen besser spüre. Andererseits ist es auch ein Akt der Selbstdisziplinierung, um die alle jetzt so ringen. Dafür ist die bildende Kunst im Allgemeinen nicht so berühmt. Man denkt gerne an Rausch, Exzess, an Üppigkeit, an überbordende Schönheit, an permanente Überraschung und intensives Erleben. Aber vielleicht tue das auch nur ich. Weil es genau das ist, diese emotionalen Extreme, diese Überwältigung für den Moment, was ich an meinem Beruf so liebe.

Kein Wunder, dass der Wiener Aktionismus und die sogenannte Neue Wilde Malerei mich schon seit der Schulzeit begleiten. Dass ich ewig Christoph Schlingensief nachtrauern werde, dem ich das erste Mal begegnet bin, wie er in einem finsteren Keller in Reykjavik am Boden saß, vor seinem allerersten Animatographen, diesen Wunderdrehbühnen des Existenziellen, die zum besten gehören, das ich bisher gesehen habe, doch dazu später.

Vorher muss ich von meinem "Zeichenlehrer" (das darf man so politisch korrekt sicher nicht mehr sagen) erzählen. Heinrich Nagy, er war, er ist immer noch großartig, Shoutout ins Gymnasium Klostergasse in Währing. Als Schüler von Bazon Brock, der mir damals natürlich gar nichts sagte, hatte er, glaube ich, eine spezielle Mission Kunst zu vermitteln. Das klingt so vage, weil ich ehrlich keine Ahnung habe, warum ich braves Bürgerstöchterchen plötzlich bei der mündlichen Matura stand und mich dort vor der Kommission auszog. Also symbolisch.

Ich hatte drei Tshirts übereinander an, auf das erste hatte ich mit wasserlöslichem roten Stift einen nackten Busen gemalt. Auf dem Tshirt darunter einen BH. Das unterste, meiner eigenen Nacktheit am nächsten, war weiß, leer. Eines nach dem anderen zog ich also aus, hielt es unter Wasser und klatschte es an die Tafel. Dazu lief irgendein von mir sehr bedeutungsschwanger eingesprochener verschwurbelter Satz von einem Tonbandgerät in Dauerschleife ab. Es war schrecklich komisch. Die Kommission hielt sich dennoch gefasst, sowas hatten sie zumindest noch nie gesehen. Und das war dann wohl im Rückblick der Moment, in dem ich sicher wusste, nie selbst Künstlerin werden zu wollen. Habe ich nie bereut. Ich glaube ich kenne auch keinen meiner Kollegen, die lieber selbst Künstler wären oder es waren. Bis auf Jerry Saltz, einer der besten. Darüber muss ich jetzt bis morgen nachdenken.

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