Künstler Ai Weiwei: "Das Leben erträglich machen"

Kuenstler Weiwei Leben ertraeglich
Kuenstler Weiwei Leben ertraeglich(c) EPA (STR)
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Der chinesische Künstler und Aktivist Ai Weiwei ließ einen Stein von China auf den Dachstein transportieren. Warum, erklärt er der "Presse am Sonntag".

Seit April ist der Stein auf Weltreise. Vier Tonnen. Vom Erdbebengebiet der chinesischen Provinz Sichuan, wo vor zwei Jahren über 80.000 Menschen getötet wurden. Mit dem Frachtschiff nach Rotterdam. Mit dem Lkw in die Ramsau. Von dort per Hubschrauber wieder hinauf auf den Berg, den Dachstein. Dort ruht er jetzt. Ein Stein unter vielen, ein Symbol für vieles: Für Ai Weiwei, den bekanntesten zeitgenössischen Künstler Chinas, steht er für die Gleichgültigkeit der Natur menschlichen Anstrengungen gegenüber. Für die Organisatoren der „regionale 10“ erzählt er die Geschichte eines Unglücks, das eine viertel Erdumdrehung weiter die Berge zum Wanken brachte. Und für Teile der Bevölkerung ist er der „Stein des Anstoßes“, dessen Sinn, dessen Kosten, dessen Weg man nicht verstehen kann und/oder will. So oder so. Am 11.Juli wird der Stein eingeweiht.

„Die Presse am Sonntag“ erreichte den Künstler und den unter strenger Beobachtung stehenden politischen Aktivisten in seinem Atelier in Peking.

Erzählen Sie uns doch bitte Ihre Geschichte von dem Stein am Dachstein.

Ai Weiwei: Es ist ein Stein, der bei dem Erdbeben in Sichuan vom Berg heruntergefallen ist. Er hat vielleicht ein Haus, ein Auto zerstört. Oder einen Menschen erschlagen. Wir möchten ihn aber nicht als Denkmal verwenden, er ist eine Geste. Er soll anonym bleiben, wie alle anderen Steine dort es auch sind. Aber in Wirklichkeit kommt er natürlich aus extremen Umständen. Durch das Erdbeben sind etwa 100.000 Leute umgekommen. Die Natur steht dem gleichgültig gegenüber. Für mich ist dieser Widerspruch interessant.

Wie haben Sie den Stein ausgesucht?

Es war für mein Team sehr schwierig, einen Stein zu finden, der nicht schwerer als vier Tonnen ist – die Belastungsgrenze des Hubschraubers. Aber er sollte auch so groß wie möglich sein. Auf dem Dachstein soll er wie ein Sandkorn wirken. Für den Menschen aber ist er eine Herausforderung.

Gerade an dieser Herausforderung gibt es Kritik. Von der rechten Seite wurde etwa das Umweltschutz-Argument aufgebracht.

Kunst wirft an verschiedenen Orten verschiedene Fragen auf. Niemand würde in China an den Umweltschutz überhaupt denken. In Peking stehen die Autos jeden Tag acht Kilometer im Stau. Es gibt heute derart viele Probleme mit Umweltschutz. Das Argument ist klar. Aber es muss nicht unbedingt an diesem Kunstwerk aufgehängt werden.

Sie haben sich bereit erklärt, 100 Fragen der Bevölkerung zu beantworten.

Ja, damit wir eine reife Diskussion führen können. Aber ich habe die Fragen noch nicht bekommen.

Könnten diese Fragen nicht seltsam wirken im Vergleich mit den Problemen, die Sie in China haben?

Die Leute in Österreich haben ein völlig anderes Denken, das ist mir klar, das wird mir nicht lächerlich vorkommen. Aber auch die Leute in Österreich müssen die Sicht anderer Länder verstehen. Es ist doch interessant, wie Ideen Realität übertragen können.

Der Stein ist im Zusammenhang mit ihren zermürbenden Versuchen zu sehen, von der chinesischen Führung Informationen über die Ursachen der vielen Todesopfer des Erdbebens zu bekommen. Sie versuchen etwa, die Namen der angeblich 10.000 Kinder zu recherchieren, die verschüttet wurden.

Wir sind immer noch damit beschäftigt, 5000 Namen haben wir bereits. Wir haben an die Regierung über 10.000 Fragen gestellt. Warum es etwa keine klaren Informationen gibt über die Zustände der Schulen, in denen die Kinder verschüttet wurden. Aber wir werden nie Antworten bekommen.

Der Stein am Dachstein ist also nicht der Schlussstein, Ihr letztes künstlerisches Projekt zu diesem Thema?

Nicht unbedingt – aber bisher hat mich noch keiner nach einem weiteren Projekt gefragt!

Das ist jetzt aber kokett. Sie werden etwa im Herbst den wichtigsten Raum für zeitgenössische Megaprojekte bespielen – die Turbinenhalle der Tate Modern in London.

Ja, aber den Auftrag habe ich vorher bekommen. Ich würde gerne jede Minute darüber reden, darf aber leider nicht.

Sie setzen sich – nicht nur in Ihrer Kunst – für Menschenrechte, Demokratie in Ihrer Heimat ein. Dafür werden Sie „Erneuerer der Provokation“ in der chinesischen Kunst genannt. Können Sie sich damit identifizieren?

Meine Arbeit kann sehr gefährlich, sehr frustrierend sein – aber Provokation ist keine Absicht von mir. Wir sehen uns Problemen gegenüber und versuchen, eine Möglichkeit zu finden, das Leben erträglich zu machen.

Sie wurden im Rahmen Ihrer Erdbeben-Recherchen in Sichuan von Sicherheitsleuten verprügelt. Nur eine Notoperation rettete Ihnen voriges Jahr in München bei Ihrer Ausstellungseröffnung das Leben. Wie geht es Ihnen heute?

Es geht mir sehr gut.

Sie benutzen für Ihre politischen Aktivitäten stark das Internet, Ihr Blog wurde schon mehrmals gelöscht, Sie sind aber auch eifriger Twitterer...

Ich sitze auch jetzt gerade vor dem Computer und beantworte Telefongespräche und Tweeds gleichzeitig.

Dabei will ich Sie nicht länger stören.

Danke.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2010)

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