Backen

Die Illusion von Kontrolle oder Brot selbst backen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Immer mehr Menschen kehren an den eigenen Herd zurück und suchen sich ihre Zeit beim Brotbacken zu vertreiben.

Es hat wohl etwas Beruhigendes, in das Fensterl des Ofens reinzustieren und dem Teig beim Aufgehen zuzusehen. Hält man sich ans Rezept, weiß man ziemlich genau, was einen beim Brotbacken erwartet. Man hat die Kontrolle und kann Zeitpunkt und Resultat des Vorgangs voraussagen. Ein Umstand, der sich ziemlich von unseren momentanen Lebensumständen unterscheidet. Und das ist wohl der Auslöser für die wiedererwachte Liebe zum selbstgemachten Brot.

Die nicht ganz freiwillige Verlagerung des sozialen Lebens in die eigenen vier Wände und die virtuelle Sphäre hat schon mehrmals den Vergleich mit Zeiten des Biedermeiers auf den Plan gerufen. Das öffentliche Leben beschränkt sich auf ein absolutes Minimum, und damit werden oft verloren geglaubte Zeitvertreibe wieder salonfähig. Darunter auch das Brotbacken.

Der Hype um den Germ

Der Hype ums gute selbst gekaufte Brot beschäftigt uns ja schon seit einigen Jahren und fand mit Öfferl und Joseph Brot seine medienwirksamsten Protagonisten. Seit Beginn der Coronakrise kommt man keinen Finger-Scoll auf Social Media weit, ohne über Fotos von selbstgemachtem Brot zu stolpern. Mehl stand hoch im Kurs der Hamsterer und für Germ muss man sich fast schon an den privaten Schwarzmarkt wenden ("Mama, kannst du mir ein Packerl schicken?").

Anleitungen liefert etwa das Team des Brotbackateliers Krust&Krume via Youtube oder die Webseite von Kornelia Urkorn.

Deshalb muss man noch nicht gleich die neue Spießbürgerlichkeit anprangern und eine Zeit der zahmen Domestizität prognostizieren. Die Coronakrise bedeutet immerhin nicht nur einen Gewinn an Freizeit im eigenen Zuhause, sondern auch ein starkes Gefühl von Unsicherheit und Kontrollverlust. Weder weiß man, wann die Krise ihr Ende findet, noch ob sie den eigenen engsten Kreis auch direkt mit einem Krankheitsfall betreffen wird. Was die Menschen sich vom Kneten und Mischen und Backen des Teigs erwarten, ist nämlich nur, was sonst gerade auch ohne Hamsterei nirgends erhältlich ist: Ein vorhersehbares, kontrolliertes Resultat.

(sir)

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