Gastkommentar

Die Welt muss Stellung beziehen gegen Viktor Orbáns Covid-19-Machtergreifung

Hungarian Prime Minister Viktor Orban speaks during his campaign closing rally in Szekesfehervar
Hungarian Prime Minister Viktor Orban speaks during his campaign closing rally in SzekesfehervarREUTERS
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Wenn sich Ungarns drakonisches Experiment als erfolgreich erweist, werden andere illiberale Länder geneigt sein, dem Beispiel zu folgen, schreibt Péter Krekó, Direktor des Political Capital Institute in Budapest.

Das ungarische Parlament, das mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit hinter Ministerpräsident Viktor Orbán steht, hat am Montag, dem 30. März, ein Gesetz verabschiedet, das Orbáns ohnehin schon umfangreiche Amtsbefugnisse noch erweitert. Das von den meisten Oppositionsabgeordneten nicht unterstützte Gesetz ermächtigt das Parlament, den Ausnahmezustand zu verlängern, den die Regierung am 11. März in Reaktion auf die Corona-Pandemie ausgerufen hat. Dadurch fallen die wenigen noch verbliebenen Kontrollmechanismen in Ungarn weg. Die Regierung regiert per Dekret und hat kaum noch eine staatliche Kontrollinstanz. Wahlen und Versammlungen dürften nicht abgehalten werden. Ungarn wurde zu einem Paradebeispiel dafür, wie das Coronavirus für autoritäre Zwecke missbraucht werden kann.

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Der Gesetzestext enthält keine Befristungsklausel; der Ausnahmezustand bleibt also so lange in Kraft, wie es die Regierung möchte. Durch Änderungen des Strafrechts kann die Veröffentlichung von Informationen, die den „wirksamen Schutz“ der Öffentlichkeit gefährden, mit fünf Jahren Gefängnis bestraft werden: eine klare Botschaft an Journalisten. Zudem will die Regierung nun effektiv auch die Kontrolle über die Kommunalverwaltungen übernehmen, indem sie die Entscheidungen der direkt gewählten Amtsträger überwacht.

Theoretisch kann das Verfassungsgericht die während des Ausnahmezustands getroffenen Entscheidungen aufheben. Es wurde jedoch in den letzten Jahren in seinen Rechten eingeschränkt und mit regierungstreuen Funktionären besetzt, so dass es kaum als wirkungsvolles Gegengewicht zur Macht des Kabinetts agieren wird. Und auch wenn das Parlament den Ausnahmezustand offiziell beenden könnte, wird es das kaum tun. Die national-konservative Fidesz-KDNP-Fraktion Orbáns besitzt eine komfortable und loyale Mehrheit. Es gab in den letzten 10 Jahren keinen einzigen Fall, in die Fraktion eine Regierungsentscheidung nicht unterstützt hätte.

Warum tut Orbán das? Aus zwei Gründen: Zum einen wird die Opposition als „Unterstützer des Coronavirus“ diffamiert statt als Unterstützer des Volkes, und so kann er die politische Debatte bereits im Vorfeld für sich gewinnen.

Idealer Zeitpunkt für eine Machtergreifung

Zum anderen sieht er darin die ideale Gelegenheit für eine Machtergreifung. Wenn der Tod in der Luft liegt, scharen sich Menschen um ihre Staatsflagge. Ihr Blick verengt sich. Die Opposition und die unabhängigen Medien thematisierten das Ermächtigungsgesetz eingehend, doch die Bevölkerung zeigte im Großen und Ganzen wenig Interesse. Für die Bürger ist es nun wichtiger, wo sie an Schutzmasken kommen.

Strategisch gesehen weiß Orbán natürlich, dass jetzt der perfekte Zeitpunkt für sein Handeln ist: Jedes Land ist damit beschäftigt, das Leben seiner Staatsbürger zu retten und zugleich einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern. In Krisen wie dieser schauen Länder verstärkt auf ihre eigenen Bedürfnisse. Die Außenpolitik verliert insgesamt an Bedeutung, und so sind für die meisten Politiker und Bürger auch Menschenrechte und der Umgang mit der Rechtsstaatlichkeit in anderen Ländern von geringer Wichtigkeit.

Doch sie sollten wichtig sein. Aus vielen Gründen ist dies nicht nur ein innenpolitisches Problem Ungarns, sondern verdient auch international von Presse, Politikern und Institutionen Beachtung.

Erstens ist Orbán ein Vorbild für andere illiberale Führer. Wenn dieses Experiment von Erfolg gekrönt wird, dürften sich viele andere ermutigt fühlen, seinem Weg zu folgen. Wird Ungarn nicht politisch unter Quarantäne gestellt, droht vor allem in Osteuropa eine neue Welle des Illiberalismus. Während Orbáns jüngster Zug von vielen Seiten heftig kritisiert wurde, schweigen die maßgeblichen Staats- und Regierungschefs der größten EU-Mitgliedstaaten zu dem Ermächtigungsgesetz. Die Kommissionspräsidentin twitterte, dass in Reaktion auf die Krisensituation ergriffene Maßnahmen in allen Mitgliedsstaaten geprüft werden – ohne dabei Ungarn beim Namen zu nennen.

Zweitens arbeitet Orbán mit Nachdruck daran, das Ansehen westlicher Allianzen zu beschädigen. Ungarn erhielt 5,6 Milliarden Euro als Beitrag zum Schutz vor der Pandemie, und doch haben Vertreter der Führungsschicht die EU lautstark angegriffen und ihr vorgeworfen, sie tue nichts anderes, als Ungarn Lektion über Demokratie zu erteilen. Orbán rechtfertigt seine geopolitische Neuorientierung Richtung Osten mit der Behauptung, die EU sei im Gegensatz zu China und Mitgliedern des Türkischen Rates nicht in der Lage, ihm derzeit Unterstützung zu bieten. Von China bezieht Ungarn Masken und Beatmungsgeräte, einige auch von den Ratsmitgliedern Usbekistan und Türkei. Und auch der allgemeine Konsens, dass autoritäre Regierungen wie Russland und China weitaus besser mit dem Coronavirus umzugehen wissen als Demokratien, findet in den regierungsfreundlichen Medien viel Erwähnung.

Wirtschaft soll umgestaltet werden

Drittens, und das hat bisher weniger Beachtung gefunden, wird Orbán diese Gelegenheit nutzen, um die ungarische Wirtschaft nach seinem Verständnis umzugestalten. Für einige ausländische Investoren dürfte das eine schlechte Nachricht sein – vor allem, wenn sich die wirtschaftlichen Probleme verschärfen. Derzeit engagiert die Regierung eine militärische Spezialeinheit zur Überwachung von 140 Unternehmen, die im öffentlichen wie im privaten Sektor entscheidende Versorgungsleistungen erbringen, etwa Energieunternehmen und Einzelhandel. Die Regierung hat Pläne zur Rettung von Betrieben – unter der Auflage, dass sie im Gegenzug das Unternehmen übernimmt. Es ist zu erwarten, dass die kommende weltweite Rezession und der Rückgang der Einnahmen aus dem Haushalt zu einigen „unorthodoxen“ wirtschaftlichen Maßnahmen führen wird, die der etablierten Wirtschaftspolitik zuwiderlaufen. Multinationale Unternehmen werden voraussichtlich Abgaben zu zahlen haben, wie dies bereits früher der Fall war – diesmal jedoch ohne nennenswerte rechtliche Hürden. EU-Mittel werden womöglich mehr noch als bisher in die Taschen von regierungstreuen Gefolgsleuten umverteilt.

Es liegt in der Natur außerordentlicher gesetzlicher Maßnahmen, dass sie leicht einzuführen, aber nur schwer wieder rückgängig zu machen sind. Doch der Effekt des „Scharens um die Flagge“ wird nicht dauerhaft anhalten. Und wenn die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zunehmend dramatisch werden, könnte Orbán zusehends an Popularität verlieren – und die Lage desolater werden. Die Versuchung, die Notfallmaßnahmen in Kraft zu halten, dürfte also nur größer werden, je näher die Wahlen 2022 rücken.

Der Autor: Péter Krekó ist politischer Analyst und Sozialpsychologe. Er ist Leiter des Political Capital Institute in Budapest.
Der Autor: Péter Krekó ist politischer Analyst und Sozialpsychologe. Er ist Leiter des Political Capital Institute in Budapest.

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