Kunst

Der nackige Frühling der Wiener Secessionisten

Rekord für Kolo Moser: „Frühling“, 1900, versteigert 2008 um fast 400.000 Euro (Ausschnitt).
Rekord für Kolo Moser: „Frühling“, 1900, versteigert 2008 um fast 400.000 Euro (Ausschnitt).(c) Dorotheum
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Den Namen eines antiken Opferrituals nahmen sich Klimt und seine Gruppe zum Leitspruch: Ver Sacrum.

Ein blühendes Bäumchen, dessen Wurzeln die Dauben des hölzernen Pflanzgefäßes zum Bersten bringen: Diese Allegorie auf die Sprengkraft des Neuen, des Wachsenden, des Frühlings von Alfred Roller prangte 1898 am Titelblatt der ersten Ausgabe von „Ver Sacrum“, der programmatischen Zeitschrift der Wiener Secessionisten rund um Gustav Klimt. Keine andere europäische Kunstbewegung hat den Frühling so gefeiert wie damals diese Herren: „Ver Sacrum“, heiliger Frühling, erkoren sie zu ihrem Leitspruch. Ihn schrieben sie auf die Fassade ihres Ausstellungshauses, der Secession, in goldenen Lettern links neben den Haupteingang. So hieß das nur sechs Jahrgänge herausgegebene Zentralorgan, gestaltet vom „Artdirector“ der Klimt-Gruppe, Kolo Moser (alle Ausgaben online auf anno.onb.ac.at).

Burgtheaterdirektor Max Burckhard erklärte in seinem einleitenden Essay, warum man sich gerade auf das „Ver Sacrum“, einen uns heute grausam erscheinenden Brauch in der Antike, bezog: „Wenn aber eine große Gefahr dem Vaterlande drohte, dann weihte das gesamte Volk alles Lebende, das der nächste Frühling brachte, den Göttern als heilige Frühlingsspende = Ver Sacrum, und wenn die im heiligen Frühling Geborenen herangewachsen waren, dann zog die jugendliche Schar, selbst ein heiliger Frühling, hinaus aus der alten Heimatstätte in die Fremde, ein neues Gemeinwesen zu gründen aus eigener Kraft, mit eigenen Zielen.“

Kolo Moser: „Frühling“, 1900.
Kolo Moser: „Frühling“, 1900.(c) Dorotheum

Idealisierter Frühling. Als Frühlingsgeborene verstanden sich die Künstler um Klimt, die 1897 von diesem damals schon 35-Jährigen aus dem Verein des Künstlerhauses „geführt“ wurden, das hier mit der „alten Heimatstätte“ gleichgesetzt wird. Man wollte sich von den dort herrschenden konservativen Kräften nichts mehr vorschreiben, schon gar nicht die Ausstellungsmöglichkeiten beschränken lassen. So formulierte man das allerdings nicht, liest man bei Burckhard nach, der den Auszug idealisierte: „Weil sie vielmehr nicht ihre persönlichen Interessen, sondern die heilige Sache der Kunst selbst für gefährdet erachtet hat und in weihevoller Begeisterung für diese jedes Opfer auf sich zu nehmen bereit war und bereit ist, und nichts will, als aus eigener Kraft ihre eigenen Ziele erreichen, darum hat sie sich unter das Zeichen des Ver Sacrum gestellt.“

Die „Sinnbilder“, die man für diesen heiligen Frühling fand, ähnelten einander allerdings verdächtig: Halbwüchsige, nackte Mädchen, die in irgendeiner Form mit der ebenfalls sprießenden Natur verschmolzen. Ob als daphneartiges Geschöpf, dessen ekstatisch in die Höhe gehobenen Arme in einer Baumkrone enden, als in blumigen Haarranken manifest werdende florale Symbiosen oder als „Frühlingstreiben“ einer zwischen Bäumen sich im Reigen drehenden Amazonenschar.

»Der „heilige Frühling“ des Jugendstils wurde von einer Pandemie beendet.«

Kolo Mosers „Frühlings“-Gemälde, das einen nackten, springenden Mann zeigt, ist im Vergleich dazu die Ausnahme. Wobei die Secessionisten die seltene männliche Nacktheit als provokatives Mittel sehr wohl zu nutzen wussten, denkt man an das erste Secessionsplakat, auf dem Klimt die Scham seines den Minotaurus bezwingenden Theseus in einer zensierten Version hinter ein paar anscheinend sehr schnell emporgeschossenen Baumstämmen, ausgerechnet, versteckte.

Diese in seiner Schönheit und Unschuld zelebrierte Nacktheit begleitete übrigens die damals aufkommende Jugendbewegung, die ein Zurück zur Natur forderte. Genauso wie die diversen anderen Lebensreformbewegungen, die in Gestalt des kurz auch in Wien lebenden deutschen Malers und Gurus Karl Wilhelm Diefenbach auch Klimt und seine Gruppe inspirierten.

Der „Heilige Frühling“ des Wiener Jugendstils währte allerdings nicht ewig, nicht einmal lang. Er wurde von einer Pandemie beendet, der „Spanischen Grippe“, die 1918, in einem Jahr, gleich drei seiner Hauptprotagonisten hinwegraffte: Klimt, Moser und Otto Wagner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2020)

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