Das Nein der deutschen Höchstrichter zu Anleihenkäufen der Europäischen Zentralbank wird langfristig negative Folgen für die EU haben.
Auf den Schock folgte die Beschwichtigung: Die Europäische Zentralbank agiere „im Einklang mit unserem Grundgesetz“, versicherte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz wenige Stunden nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, das die Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB für teils verfassungswidrig und einen entsprechenden Spruch des Europäischen Gerichtshofs für nichtig erklärt hatte. Ins selbe Horn stieß zur selben Zeit Markus Ferber, der wirtschaftspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei: Die Unabhängigkeit der EZB stehe keineswegs zur Disposition. Und in Brüssel wies die Kommission darauf hin, dass sich am Prinzip, wonach EU-Recht über dem nationalen Recht stehe, nicht das Geringste geändert habe.
Ist also alles wieder gut? War das Urteil von Karlsruhe kein Erdbeben, sondern lediglich ein kleiner Stolperer? Wenn man ausschließlich vom Gegenstand des Rechtsstreits ausgeht, dann stimmt diese Einschätzung. Die deutschen Höchstrichter ließen nämlich eine große Hintertür offen, durch die EZB und EuGH bloß durchmarschieren brauchen: Kann die Notenbank der Eurozone binnen drei Monaten belegen, dass sie bei ihren Anleihenkäufen Für und Wider sorgfältig abgewogen hat, ist der Widerspruch des Bundesverfassungsgerichts hinfällig. Dass die EZB über entsprechende Kalkulationen verfügt, darf als selbstverständlich angenommen werden. Der Showdown zwischen Karlsruhe auf der einen und den EU-Institutionen auf der anderen Seite wäre damit abgesagt.