Immer schon wurde gezeichnet und gemalt. Doch nie war es so einfach für Kreative, die eigenen Werke und die damit vermittelten Werte über Grenzen hinweg zu teilen.
Es hat sich viel getan, seit die ersten Menschen ihre Höhlenwände bemalten. Und in der Höhle von Lascaux ging es wohl etwas beschaulicher zu als auf Facebook, Twitter und Instagram. Gerade solche sozialen Medien haben zuletzt verstärkt dafür gesorgt, dass (Laien-)Kunst für ein größeres Publikum zugänglich wurde. Besonders auf Instagram lässt sich beobachten, was die Digitalisierung und die begleitende Vernetzung von Kreativen für den Schaffensprozess bedeuten können.
»Der Insta-Feed als Schaufenster für die Welt, das man hegt und pflegt.«
Der eigene Feed dient dort als Schaufenster für die Welt, das man mit neuen Inhalten füttert, schön dekoriert, hegt und pflegt. Denn es ist eine Vitrine, in die auch Kuratoren mitunter einen Blick hineinwerfen, gewiss aber potenzielle Kunden. Dasselbe gilt für Mitbewerber und kreativ Gleichgesinnte. Digitale Anwendungen wie Instagram sind eine Spielwiese für junge Illustratoren, die auf sich aufmerksam machen und fortan von Interessierten auf der ganzen Welt gefunden werden können etwa durch Hashtags wie #illustratorsoninstagram, #illustagram, #artowork oder #draweveryday. Tausende von Postings lassen sich so durchforsten, Inhalte auch zu Nischenthemen finden und die Personen hinter den Werken relativ unkompliziert erreichen.
Die perfekte Welle. So etwa Barbara Zilinska: "Mamugnaon" nennt sie sich auf Instagram, was in der philippinischen Sprache Cebuano "kreative Person" heißt. Palmen, Surfer, Bananenblätter, aber vor allem die Welle dominieren Zilinskas Arbeit. "Die Welle, mein Flow", erklärt sie, "die heilende Kraft des Wassers, das Meer in mir. Das Wasser, der Ozean als Teil von mir und ich als Teil des Ozeans." Auf dem Surfbrett über den Wellen sei es ihr bisher am einfachsten gelungen, ganz tief zu sich selbst zu finden. Die Österreicherin ist gern in der Welt unterwegs und bereist neue Orte. "Ästhetisch stimulierende Ereignisse lassen mich zum Stift greifen. Neue Farbkompositionen, neue Formen, neue Informationen ich möchte sie festhalten und verarbeiten. Der erste Surf in den Tropen zum Beispiel, der erste Kontakt mit diesem satten Grün auf dem Strand und dem stechend blauen Wasser, warm auf nackter Haut."
Gezeichnet hat Zilinska schon immer. Als kleines Kind mit Kreide auf die Straße, mit Fingerfarben auf Fensterglas. Als Schulkind in die Mathematik- und Geschichtsbücher. Heute bepinselt sie Schränke in Jugendherbergen oder Türen von Strohhütten in der Karibik. Das Reisen hat sie groß denken lassen, denn sie hat noch mehr vor. "Ich will auf eine Wand malen, die so groß ist, dass ich eine Leiter brauche. Etwas malen, das mehrere Tage dauert und eine große, sonst leer bleibende Fläche belebt."
Inspiration können für Zilinska kreative Gleichgesinnte sein, die sie auf ihren Reisen trifft. Oder im Internet, wo sie nur einen Klick entfernt sind, auch wenn sie sich Tausende von Kilometern weit weg befinden. Mazahir Hussain in England etwa: Er veröffentlicht Bilder, die ins Auge stechen und durchaus provozieren. Bilder, auf denen Themen abseits des heteronormativen Mainstreams behandelt werden. LGBTQ+, Selbstfindung, Liebe in all ihren Facetten. Der 29-Jährige erfreut sich nicht nur positiven Zuspruchs und vieler Aufträge, er ist zudem Teil einer Gemeinschaft von queeren Künstlern geworden. Unter Schlagworten wie #queerillustration, #queerart oder #gayart habe ein Kollektiv Gleichgesinnter zusammengefunden, erzählt er, das sich gegenseitig unterstütze und dieselben Werte teile. Aber, und hier die Crux an der Geschichte, sei Zensur in diesem Bereich ein großes Problem: "Ich habe so viele Talente gesehen, deren Profile einfach ohne Vorwarnung verschwunden sind, was äußerst ärgerlich ist." Zu sexuell wäre der Inhalt gewesen, zu groß der Anteil an nackter Haut. Doch auch in Fällen wie diesen würde man füreinander einstehen. Seine Kunst, betont er, ist seine Leidenschaft.
"Für mich ist sie das Feuer, der Antrieb, die Richtung, in die ich immer wollte. Sie hat mir die Bestätigung gegeben, die ich als Heranwachsender nie bekam." Um ihr Ausdruck zu verleihen, bezieht sich Hussain gern auf Elemente aus der Literatur, insbesondere aus Märchen oder aus der griechischen Mythologie. Salome sei seine Lieblingsfigur, die er auch illustrierte. "Es war wunderbar, meine Kunst zu nutzen, um über eine biblische Figur zu sprechen und für sie einzutreten, da sie im Laufe der Geschichte sexuell dämonisiert und in der Bibel namentlich nicht einmal genannt wurde." Doch eigentlich, erzählt er, wolle er über seine Bilder nicht unbedingt Geschichten erzählen. "Ich will eigentlich nur Dinge ansprechen, die bewirken, dass Menschen sich weniger einsam fühlen und sie ein bisschen zum Lächeln bringen."
Der Realität entfliehen. Freude teilen will auch Laura Lhuillier aus Frankreich. Bunte Farben, fröhliche Charaktere, Pflanzen, Blumen, Katzen, eine Frau auf einer Schaukel mit dem Mond in der Hand und den Sternen um sich herum.
"Mein Stil ist naiv und ich arbeite gern mit warmen Farben und Texturen", beschreibt sie ihre Werke. "Ich möchte ein Gefühl von Zärtlichkeit, von Heiterkeit vermitteln. Wenn ich andere damit glücklich mache, wäre es perfekt." Selbst in traurigen Phasen bleibe sie voll Hoffnung. Dass ihr dies auch in Corona-zeiten gelingt, zeigt ein Bild mit dem Titel "Mood". Es stellt eine Frau in einem Vogelkäfig dar. "Durch meine Zeichnungen entkomme ich dieser Situation. Ich gelange an Orte, an denen ich lieber sein würde, als in meiner Wohnung eingesperrt zu sein."
Lhuilliers heitere Motive stehen in starkem Kontrast zu jenen der Russin Sofia Kolovskaya. Letztere nämlich liebt minimalistische Illustrationen mit einfacher Farbpalette und klaren Linien. Und bringt ein deutlich düsteres Bild zu Papier zumindest jetzt gerade. Denn in ihren Comics verarbeitet sie Themen, mit denen sie und andere Menschen sich jeden Tag konfrontiert sehen. In ihrem Fall ist es der wegen Corona mehr oder weniger erzwungene Umzug von Helsinki in ihre Heimatstadt St. Petersburg. So sind es derzeit Motive wie Selbstisolation, Home-Office oder Social Distancing, von denen die zum Leben erweckten Kreaturen erzählen. Das Zeichnen helfe ihr dabei, eigene Gefühle und Gedanken zu verarbeiten, so die Russin. Aber es trifft zur selben Zeit auch in die Gefühlswelt des Betrachters zumindest im Idealfall. "Ich möchte etwas gestalten, das den Menschen zu verstehen gibt, sie sind nicht allein in ihren Ängsten, ihrer Traurigkeit oder ihren Sorgen."
("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 15.05.2020)