Referendum

Eine einzige russische Region sagte Nein zu Putins Verfassung

Wikipedia/TUBS/Creative Commons 3.0 (CC BY-SA 3.0)
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Im Autonomen Kreis der Nenzen an der Barentssee stimmten rund 55 Prozent der Abstimmenden dagegen. In der Region leben etwa 44.000 Menschen. Im Kreml spricht man „regionalen Gründen" als Ursache für das Votum, das jenem in den anderen 84 Teilen der Föderation widerspricht.

Wir befinden uns im Jahre 2020 nach Christus. Ganz Russland hat bei einem Referendum über eine neue Verfassung dem Plan von Staatschef Wladimir Putin zugestimmt. Ganz Russland? Nein! Eine einzige der 85 Regionen bzw. „Föderationssubjekte" hat dagegen gestimmt: Nämlich der Autonome Kreis der Nenzen im Nordwesten Russlands an der Barentssee. Dort stimmten bei der Volksbefragung rund 55,3 Prozent der Teilnehmer gegen das neue Grundgesetz, das unter anderem Putin den Weg für weitere Amtszeiten bis ins Jahr 2036 freimacht.

Der Autonome Kreis der Nenzen mit der Hauptstadt Narjan-Mar ist Teil der höherrangigen Oblast Archangelsk. In dem rund 177.000 Quadratkilometer großen Gebiet - etwas mehr als doppelt so groß wie Österreich - leben nur etwa 44.000 Menschen. Laut der Volkszählung von 2010 waren davon etwa zwei Drittel Russen, während fast 19 Prozent dem namensgebenden indigenen Volk der Nenzen und neun Prozent den Komi angehören; Letztere gehören zu den finnisch-ugrischen Ethnien, es gibt eine eigene Republik Komi in der russischen Föderation, sie grenzt im Süden an den Autonomen Kreis der Nenzen an.

Lage von Narjan-Mar, Hauptstadt des Autonomen Kreises der Nenzen.

Die Nenzen lebten ursprünglich nomadisch, als Rentierhirten, Fischer und Jäger, und wurden in der frühen Sowjet-Ära zwangsweise sesshaft gemacht. Bis heute wahren sie ihre Traditionen, etwa den Schamanismus, und ihre Kultur sehr gut. Ein Teil von ihnen hat sich der alten nomadischen Lebensweise wieder angenähert, einige Tausend leben sogar weiterhin als Vollnomaden.

Dominante Ölindustrie

Optisch weisen sie asiatisch wirkende Gesichtszüge auf ähnlich den Inuit in Kanada und Grönland und anderen kleinen Völkern im Norden und Osten Sibiriens. Insgesamt soll es etwas mehr als 40.000 Nenzen geben, die auch in anderen Regionen Russlands bzw. Sibiriens leben.

Dr. Andreas Hugentobler/CC BY-SA 3.0

Polares Klima, Permafrostböden und Tundra sind für die Landwirtschaft seit jeher hemmend. Der Großteil des Gebietes ist verkehrstechnisch nicht erschlossen, viele Gemeinden und auch Ölförderorte sind nur aus der Luft, über Flüsse oder vom Meer her erreichbar.

Fischerei, Pelzjagd und Rentierzucht sind nennenswerte Wirtschaftszweige, allen voran liegt aber seit langem die Öl- und Gasförderung, die vor allem im Meer vor der Küste stattfindet und weit mehr als 90 Prozent der regionalen Wirtschaftsleistung ausmacht.

Iźva Komi Documentation Project (Niko Partanen)/CC BY-SA 4.0

Zu dem Ergebnis aus dieser Region befragt, meinte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag, dass es dort spezielle „regionale Gründe" für das Nein geben müsse. Dass diese ethnischer Natur sein könnten, ist eher nicht anzunehmen, da Nenzen, Komi und einige andere kleine ethnische Gruppen klar in der Minderheit sind, Russen in der Mehrheit.

Tatiana Bashinskaya/CC BY 3.0

"Wir kommentieren die Ergebnisse der Abstimmung nicht, sondern stellen sie nur fest", sagte wiederum die nationale Wahlleiterin, Ella Pamfilowa. Mit Blick auf die Ablehnung im Kreis der Nenzen meinte sie: "Die Ergebnisse zeugen von der Wahrhaftigkeit des Auszählungsprozesses."

Landesweit stimmten 77,9 Prozent der Wähler für das neue Grundgesetz. Mit Nein votierten 21,27 Prozent. Die Wahlbeteiligung wurde mit fast 68 Prozent angegeben. In einigen Gebieten, etwa der Teilrepublik Tschetschenien im Kaukasus, gab es Mehrheiten von mehr als 90 Prozent für die Verfassungsänderung. In Moskau waren es rund 65 Prozent.

Wahlleiterin Pamfilowa wies Vorwürfe zurück, dass es Verstöße gegen das Wahlrecht gegeben habe. Unabhängige Beobachter listeten Hunderte solcher Vergehen auf.

(APA/DPA/wg)

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