Frankreich

Präsident Macron versucht es mit neuem Regierungschef

APA/AFP/LUDOVIC MARIN
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Edouard Philippe kehrt zurück ins Bürgermeisteramt von Le Havre. Als neuer Premier folgt ihm der Spitzenbeamte Jean Castex nach. Er soll den neuen Kurs des Präsidenten umsetzen.

Bleibt er oder geht er? Wenn ja, wer folgt ihm nach? Das waren in den vergangenen Tagen die Fragen, die die Journalisten beschäftigten. Heftig wurde über die politische Zukunft des bisherigen Premierministers Edouard Philippe spekuliert – dann machte Präsident Emmanuel Macron am Freitag alles klar: Philippe (49) geht zurück nach Le Havre in der Normandie, sein Amt übernimmt Jean Castex, auch ein Bürgermeister und hoher Beamter.

Castex war zuletzt für die Planung des „Déconfinement" – also der Beendigung der Covid-Ausgangsbeschränkungen – zuständig. Zudem ist er interministerieller Delegierter für die Organisation der Olympischen Spiele 2024 in Paris. Reicht das für die Qualifizierung zum Regierungschef?

Der 55-Jährige ist auch Bürgermeister der Kleinstadt Prades in den Pyrenäen und Ex-Mitarbeiter der Regionalbehörden. Er war ein eher diskreter Berater von Staatschef Nicolas Sarkozy (2007-2012) und während dessen Präsidentschaft enger Mitarbeiter von Sozial- und Gesundheitsminister Xavier Bertrand. Politisch gehört er zur Familie der Konservativen, die von der Partei „Les Républicains" repräsentiert wird, zum Teil aber auch in Macrons „La République en marche" eine Heimat fand.

Ökologie rückt ins Zentrum

Wer also eine prominente und politisch starke Persönlichkeit als neuen Regierungschef erwartet hatte, dürfte nun enttäuscht sein. Die Öffentlichkeit rechnete nach dem Vormarsch der Grünen und Linken bei den jüngsten Kommunalwahlen mit einem entsprechend angepassten politischen Kurs in den knapp zwei Jahren der restlichen Amtszeit Macrons. Die Ökologie und insbesondere Klimapolitik sollten viel stärker im Zentrum stehen, sozial einschneidende liberale Reformen dagegen müssten eher warten, prophezeien politische Beobachter.

Das ist nicht unbedingt die Politik, für die Edouard Philippe, der wie mehrere Minister der bisherigen Regierung 2017 von der konservativen Partei „Le Républicains" (LR) zu Macron übergewechselt war, die Verantwortung tragen wollte. Die Frage ist, ob sie von Castex verkörpert wird. Philippe hat als einer der ganz wenigen Kandidaten des Regierungslagers in seiner Heimat Le Havre bei den Kommunalwahlen eine klare Mehrheit im Rathaus erobert. Damit hatte er bewiesen, wie populär und politisch legitimiert er aus Sicht seiner – lokalen – Wählerschaft ist. So gesehen wäre sein Wahlsieg auch sicher kein Grund gewesen, als Regierungschef zurückzutreten.

Macron musste Zeichen setzen

Doch Präsident Macron musste nach der landesweiten Wahlniederlage von La République en marche ein Zeichen setzen. Er musste die Regierung umbilden. Dass Philippe am Freitagmorgen beim Präsidenten den Rücktritt der Regierung einreichte, war unter den beiden offenbar abgesprochen. „Le Figaro" berichtete, die beiden trennten sich in „gutem Einvernehmen". Am Freitagvormittag warteten vor dem Matignon-Regierungssitz schon die Umzugswagen. Philippe wird heute als Bürgermeister der Hafenstadt an der Seine-Mündung angelobt. Das schließt nicht aus, dass er für später nicht größere Ambitionen hegt.

REUTERS

Macron dankte Philippe für seine „bemerkenswerte Arbeit" in den zurückliegenden drei Jahren. Noch vor wenigen Wochen versicherten Mitarbeiter des Präsidenten auf die Frage bezüglich der Meinungsdifferenzen mit seinem Premier, die beiden stünden einander so nahe, dass man nicht einmal „ein Zigarettenpapier" zwischen sie schieben könne.

Es kann nur einen König geben

In Wirklichkeit war der „Pas de deux" in der Staatsführung längst nicht immer so harmonisch. Insbesondere hinsichtlich des Pensionsalters in der umstrittenen, inzwischen auf unbestimmte Zeit verschobenen Pensionsreform, aber auch in der Steuerpolitik sowie bei der Reaktion auf die Forderungen der „Gelbwesten" waren die beiden nicht auf derselben Wellenlänge. Vor allem aber hatte es Philippe nicht geschätzt, dass Macron mehrfach seinen Fachministern einen Kurswechsel diktierte, ohne ihn zu fragen oder auch bloß vorab zu informieren.

So hatte Philippe beispielsweise zur Unfallverhütung eine Temporeduktion auf Landstraßen auf 80 km/h beschlossen. Angesichts der Proteste und Kritik intervenierte Macron, um es den Behörden der Départements zu ermöglichen, auf ihren Straßen die Höchstgeschwindigkeit wieder auf 90 km/h festzulegen. Das war ein Affront für Philippe, der davon aber öffentlich nicht viel Aufhebens machte.

Was hingegen den Präsidenten in letzter Zeit gewurmt hat, war die wachsende Popularität seines Premierministers, der im Unterschied zu ihm in Umfragen von der Hälfte der Landsleute geschätzt wird. In der französischen „Wahlmonarchie" kann es aber nur einen König geben.

Vom Partner zum Rivalen

Die französischen Medien ließen es sich natürlich nicht nehmen, von Macrons Eifersucht auf Philippes Popularität zu reden. Ohnmächtig musste nämlich der Staatschef zuschauen, wie sein erster Minister langsam zu einem potenziellen Rivalen bei der Präsidentschaftswahl 2022 avancierte. Genau aus demselben Grund aber hätte Macron allen Anlass gehabt, ihn als Regierungschef unter seiner Kontrolle zu behalten und in die Verantwortung für die Politik bis 2022 einzubeziehen, statt ihm freie Hand zu gewähren.

Erst die Zusammensetzung der neuen Regierung, die spätestens vor dem nächsten Ministerrat am 8. Juli stehen muss, wird wirklich Aufschluss über die neue politische Strategie Emmanuel Macrons geben.

Die Zeit für die Realisierung seines ursprünglichen Wahlprogramms wird indes knapp. Sein Ansehen bei der Bevölkerung ist nach mehreren Krisen arg geschwunden – mit den Demonstrationen der Gelbwesten, dem Widerstand gegen die Pensionsreform und dem heftig kritisierten Covid-19-Krisenmanagement. Macron braucht dringend ein neues Gesicht voller Zuversicht. In einem Interview mit Regionalzeitungen hat er diese Woche die Landsleute gewarnt, die „Rentrée" im Herbst werde aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Krise für ihn wie für alle „hart" werden.

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