Galeria Karstadt Kaufhof

Benkos sterbende „Dinosaurier“

Eine Republik im Kaufrausch: In den Sechzigern waren (west-)deutsche Warenhäuser auf dem Zenit.
Eine Republik im Kaufrausch: In den Sechzigern waren (west-)deutsche Warenhäuser auf dem Zenit. ullstein bild via Getty Images
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Die letzte deutsche Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof des Tirolers René Benko plant den Kahlschlag. Jetzt geht die Angst um: Stirbt ohne Konsumtempel die Innenstadt?

Am Freitag ist vor der Karstadt-Filiale in Berlin-Tempelhof protestiert worden. Mit Maske im Gesicht – und mit Wut im Bauch. Den Mitarbeitern hier stecken schwere Zeiten in den Knochen, also Jahre der Ungewissheit, wie es weitergeht beim wankenden Handelsriesen. Die bittere Antwort: Hier in Tempelhof wohl gar nicht.

Zwischen Nord- und Bodensee sollen nach jüngsten Plänen zwar nicht mehr 82, aber immer noch 56 der 172 Filialen der letzten deutschen Warenhauskette zusperren, darunter sechs von elf in Berlin. Auch 20 Läden der Tochter Karstadt Sports droht der ewige Ladenschluss. Der geplante Kahlschlag soll ein Befreiungsschlag sein für den „Galeria Karstadt Kaufhof“-Konzern, in dem seit 2019 die Signa Holding des Tirolers René Benko das alleinige Sagen hat und der seit der Vorwoche in einem Insolvenzverfahren steckt.

Es steht viel auf dem Spiel: die berufliche Existenz von mehr als 5000 Mitarbeitern, deren Filialen auf der roten Liste stehen; ein großer Teil von Benkos Handelsimperium; das Gesicht deutscher Innenstädte. Den Bürgermeistern graut vor der Lücke, die das Aus für die Konsumtempel in ihre Zentren reißen könnte, in denen die Warenhäuser gefühlt immer schon da waren und manchmal architektonische Hingucker sind. Andere halten den Aufschrei für Heuchelei, weil viele, die jetzt Krokodilstränen verdrücken, ihre Taschentücher bei Amazon bestellen.

Der lange Niedergang. Wie Denkmäler künden viele Warenhäuser vom Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit. Aber die Bilder im Kopf sind in Schwarz-Weiß. Sie erzählen von der Vergangenheit. Denn über dem Konzept Warenhaus, dessen Anteil am Handel in den Sechzigern 15 Prozent ausmachte, hatte sich über die Jahrzehnte der perfekte Sturm zusammengebraut. „Wir haben stadtplanerisch sicher auch Fehler gemacht. Keine Frage“, sagt Alexander Handschuh, Sprecher des Städte- und Gemeindebunds zur „Presse am Sonntag“. „Gerade die Einkaufszentren auf der grünen Wiese haben dazu geführt, dass die Menschen weniger in die Innenstädte gekommen sind.“ Später zertrampelten digitale Handelsriesen wie Amazon das angestaubte Geschäftsmodell. Dass sich die stolzen Rivalen „Kaufhof“ und „Karstadt“ seit 2018 unter demselben Konzerndach drängen, erzählt schon viel über deren Niedergang. Und dann fegte Corona die Verkaufsflächen wochenlang leer.

Einen „letzten Nackenschlag für die zum Sterben verurteilten Dinosaurier“, nennt Handelsexperte Gerrit Heinemann das Virus. Der Professor an der Hochschule Niederrhein sagt das ohne Wehmut. „Nach über 170 Jahren ist es auch einmal gut“, erklärt er der „Presse am Sonntag“. Letzte Warenhäuser könnten sich mittelfristig vielleicht in Millionenstädten halten, meint er, aber auch nur dann, wenn sie ihren Wesenskern verleugnen, Flächen untervermieten, schleichend zum Shoppingcenter mutieren. Wie das teilweise schon passiert.
Für mittelgroße Städte ist die Prognose düster: „Viele, die jetzt noch ein Warenhaus haben, werden es verlieren.“ Die Innenstädte dort stürzt das in „immense Probleme“, wie auch der Städte- und Gemeindebund fürchtet. Das Dilemma: Warenhäuser rechnen sich zwar kaum noch, sind aber immer noch attraktiv genug, um eine „Magnetwirkung“ zu entfalten, also Kunden in die Innenstädte zu ziehen. Die Schließung des letzten Warenhauses droht daher auch Händler im Umkreis mit in den Abgrund zu reißen.

Und Berlin mag es verschmerzen, wenn „Karstadt“ die nicht hübscheste, aber älteste Fußgängerzone der Stadt in der Wilmersdorfer Straße verlässt. Ein Einkaufszentrum ist nebenan. Aber wie füllen sie die Lücke nur zum Beispiel in Worms, 83.000 Einwohner, von Goethe gewürdigt, in der Nibelungensaga verewigt? Dort schließt das einzige Warenhaus.

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