„Harriet“

Denkmal für eine Kämpferin

Harriet Tubman (1820–1913) half geflüchteten Sklaven aus den Südstaaten in den Norden. Das Biopic „Harriet“ nimmt ihre Geschichte teilweise zu wenig ernst.
Harriet Tubman (1820–1913) half geflüchteten Sklaven aus den Südstaaten in den Norden. Das Biopic „Harriet“ nimmt ihre Geschichte teilweise zu wenig ernst.(c) Focus Features
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Harriet Tubman (1820–1913) half geflüchteten Sklaven aus den Südstaaten in den Norden. Das Biopic „Harriet“ nimmt ihre Geschichte teilweise zu wenig ernst.

Statuen erzählen für sich genommen nicht viel. Ein Steinkörper steht starr auf einem Sockel, gefangen in einer Pose, die heroisch genug sein muss, um den Blick längerfristig zu bannen. Im Film „Harriet“ ist die Titelheldin viel in Bewegung. Sie wird zwar in heldenhaften Posen gezeigt, aber diese wechseln. Mal ist sie Heilige. Mal ist sie Kriegerin. Mal sieht man sie leiden. Mal rennen. Mal schießen. Nie hält sie inne, ein bisschen wie die Statue in New York, die Harriet Tubman zeigt – mit geballter Faust und breitem Rock, an dessen Hinterteil ein tentakelartiges Kettengeflecht klebt. Sie steht still, aber ist schon auf dem Sprung.

Das Biopic zu Ehren der schwarzen Freiheitskämpferin, die sich zur Zeit der Sklaverei als Fluchthelferin auf der Underground Railroad (einer Geheimroute für entflohene Sklaven von Süd nach Nord) und im Bürgerkrieg als Truppenleiterin der Unionisten verdient machte, will sich als filmisches Denkmal von ähnlich eingängiger Körperlichkeit wie diese Statue verstanden wissen. Die wunderbare Cynthia Erivo (bekannt aus der Broadway-Version von „Die Farbe Lila“) spielt Tubman mit vollem Körpereinsatz und ungekünstelter Expressivität. Ihr Charakter kämpft sich durch eine Abfolge von Hindernissen und Entscheidungen, die sie immer nach dem gleichen Grundsatz bezwingt: Die Freiheit oder den Tod!

Aus dem Lebensmotto der Anwärterin für den nächsten 20-Dollar-Schein (eine alte Obama-Idee, die von Trump vertagt wurde) ergibt sich fast zwangsläufig eine Erzählung mit vielen Thriller- und Action-Momenten. Immer wenn die Tarnung der ehemaligen Sklavin aufzufliegen droht, motiviert sie ihr Streben nach Freiheit zu spektakulären Impulshandlungen und halsbrecherischen Stunts. Sie hüpft von Brücken, wenn ihre Verfolger sie eingekesselt haben, sprintet durch dunkle Wälder, als sie Sklaven in die Freiheit lotst, und trickst brutale Menschenjäger mit riskanten Maskeraden aus.

Auch die Erzählgeschwindigkeit ist höchst hastig. Es wirkt bisweilen, als würde Regisseurin Kasi Lemmons die Stationen ihrer Lebensgeschichte auf einer Strichliste abhaken. Andere Aspekte ihrer Persönlichkeit, die nach einer subtileren Gangart verlangt hätten, werden mit Genrekonventionen weichgespült.

Man hört die Stimme Gottes

Tubman war überzeugte Christin, Methodistin. Nach eigener Aussage war sie imstande, die Stimme Gottes zu hören. Ihr Spitzname war Moses, in Anlehnung an den gottberufenen Befreier der Israeliten. Lemmons nimmt ihren Glauben allerdings etwas zu buchstäblich, wenn der Herrgott sie scheinbar höchstpersönlich durch feindliches Territorium navigiert oder ihr mutmaßlich den Wasserstand eines Flusses zuflüstert, den sie überwinden muss. Ernstere und tiefere Fragen, die eine aufgeklärte theologische Perspektive erfordert hätten, verschenkt der Film an eine halbherzige Fantastik. Viele US-Kritiker warfen „Harriet“ zudem vor, ein verfehlter Superheldenfilm zu sein, in dem Gläubigkeit als paranormale Fähigkeit trivialisiert wird. Als wäre ihr telepathischer Draht zu Gott die Spezialbegabung einer Comicfigur. Ein berechtigter Einwand.

Lemmons nützt das seriöse Potenzial der Geschichte, schöpft es aber mit einem kleineren Löffel ab als ihre kommerziell verwertbaren Teile, die Abenteuer und Melodramatik garantieren. So wird der Feminismus der Heldin über ein Geschlechterduell mit einer fiktiven Männerfigur abgehandelt, dem Sohn ihres ehemaligen Besitzers. Ein junger Südstaatendandy, für den sie das verbotene Objekt seines chauvinistischen Begehrens abgibt. An sich ein guter Ansatz, der jedoch zur Ausblendung der allgemeineren politisch-feministischen Ideen der späteren Frauenrechtsaktivistin führt.

Dass Lemmons auf rabiaten Gewaltrealismus – wie er in jüngeren US-Filmen über die Unterdrückung von Afroamerikanern vorkam – verzichtet, ist pietätvoll gemeint, aber zuweilen überstrahlt die Hochglanzoptik doch den dunklen Kern der Sklaverei, an die sich Harriet nur in undeutlichen Flashbacks erinnert. Hoffentlich folgen noch andere, vielleicht bessere Biopics über Harriet Tubman.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2020)

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