Filmkritik

„The Old Guard“: Auch Helden wollen einmal sterben

Möchte nicht auf ihr Alter angesprochen werden: Andromache, genannt Andy (Charlize Theron).
Möchte nicht auf ihr Alter angesprochen werden: Andromache, genannt Andy (Charlize Theron).(c) Aimee Spinks/Netflix
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Die Ewigkeit ist wirklich lang: Im Netflix-Actionfilm „The Old Guard“ ringt eine Kriegertruppe um Charlize Theron mit der seelischen Last der Unsterblichkeit.

Wer genug Schlachten gemeinsam geschlagen hat, braucht keine Kampfbesprechung mehr. „Sao Paulo 34“, raunt Andromache (Charlize Theron) ihren Mitstreitern zu, und das Manöver ist klar: Was 1834 funktioniert hat, könnte auch hier, im gläsernen Hauptquartier einer perfiden Pharmafirma, aufgehen. Als Waffen dienen Pistolen im Hosenbund und ein antikes Beil. Jeder Schlag sitzt. Klar, diese Krieger haben Erfahrung. Viel Erfahrung. Sind sie gut oder böse? „Hängt vom Jahrhundert ab.“

Heute sind sie vor allem müde: von der Welt, der Einsamkeit, dem Schmerz des Alters, das man ihnen nicht ansieht. Und von Tausenden Toden. Seit Generationen greifen Andromache, kurz Andy, und ihr Vierergespann kämpfend in die Menschheitsgeschichte ein. Ihre Feinde können sie verwunden, erschießen, in die Luft jagen, sie stehen dank mysteriöser Selbstheilung immer wieder auf. Weh tut es trotzdem.

„The Old Guard“, von der US-Regisseurin Gina Prince-Bythewood gedreht nach einem Buch von Greg Rucka, der auch die Comic-Vorlage lieferte, hebt sich in einiger Hinsicht ab von anderen Superheldenfilmen: Wo sich viele Helden mit kindlicher Freude an ihren Kräften delektieren (oder diese mit selbstbewusstem Weltrettungspathos einsetzen), schwankt die altersweise Kombo hier zwischen Abgebrühtheit und entschiedener Todessehnsucht. Wo andere oft durch eine überbordende Handlung gehetzt werden, gibt Prince-Bythewood ihren Protagonisten Zeit, sich zwischen Actionszenen mit der psychischen Last der Unsterblichkeit zu beschäftigen. Dass mit ihr erstmals eine afroamerikanische Regisseurin einen großen Superheldenfilm drehte und sie darin mit beiläufiger Selbstverständlichkeit die Romanze zweier männlicher Helden einbaut, lässt „The Old Guard“ im Kontext seines Genres noch mehr Aufsehen erregen.

Als Göttin verehrt, als Hexe verbrannt

In Homers Ilias war Andromache eine vom Schicksal schwer Geprüfte, hier gibt Theron sie mit gewohnt kühler Noblesse: eine Frau, die schon als Göttin verehrt und als Hexe verbrannt wurde – immer wieder –, die ihre Liebsten überdauert hat und der das irdische Leben nur noch wenig Genuss bietet, immerhin hie und da ein Stück Baklava, dessen Herkunft sie dank jahrhundertelanger Erfahrung am Geschmack erkennt. Ihre Mitstreiter Joe und Nicky kämpften einst in den Kreuzzügen gegeneinander, bevor sie ihre Unsterblichkeit und Liebe zueinander entdeckten; Booker (Matthias Schoenaerts mit leidendem Blick) stieß im Napoleon–Feldzug dazu; und jetzt steht auch noch eine junge US-Marinesoldatin von einem tödlichen Gefecht auf – just, als ein junger Pharmaunternehmer (Harry Melling, bekannt als Dudley in „Harry Potter“, im Kapuzensakko) die Helden als Labormäuse nutzen will.

Der Humor hier ist so trocken wie in vielen Superheldenfilmen. Beachtlich ist die Eleganz, mit der Prince-Bythewood die Actionszenen choreografiert hat. Ein fließender Tanz aus schnellen Hieben, Schüssen, Drehungen, Waffenwechseln: Diese Krieger kämpfen wirklich, als hätten sie seit Menschengedenken nichts anderes gemacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2020)

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