ImPulsTanz

Endlich einmal im Freien schreien!

„Mit der Stimme kann man die ganze Seele aktivieren“: Akemi Takeya lässt die Teilnehmer ihrer Workshops schreien.
„Mit der Stimme kann man die ganze Seele aktivieren“: Akemi Takeya lässt die Teilnehmer ihrer Workshops schreien.(c) Karolina Miernik
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„Wir können nicht schreien“, sagt Akemi Takeya über ihre Heimat Japan. Bei ihrem Workshop „Schrei X8“ sollen „eingeschlossene Emotionen“ befreit werden.

Gleich mehrere Workshops, die das ImPulsTanz-Festival heuer im Freien und gratis anbietet, laden die Teilnehmer dazu ein, eine nur selten genutzte Fähigkeit einzusetzen: das Schreien. Während Babys diese Kommunikationsmöglichkeit oft und systematisch nutzen, um ihre Eltern dazu zu bringen, sich um sie zu kümmern, haben nicht cholerische Erwachsene vor allem in der Öffentlichkeit meist Hemmungen, laut und deshalb als ungehobelt angesehen zu werden. In Japan könne man sogar angezeigt werden, wenn man mit erhobener Stimme spreche, erzählt die schon lang in Wien lebende Künstlerin Akemi Takeya über ihr Heimatland: „Wir können nicht schreien. Wir tragen Masken, wenn wir in Gesellschaft sind.“

Als sie Anfang der 1990er-Jahre nach Österreich kam, sei sie „ganz still“ gewesen, auf der Suche nach ihrem „europäischen Ich“, um mit den vielen starken Persönlichkeiten, die sie in Wien umgaben, zurande zu kommen. „Ich konnte nicht sprechen, denn ich konnte kein Deutsch. Aber ich habe innerlich Kraft gesammelt, indem ich nicht so viel gesagt habe. Und dann habe ich angefangen, meine Stimme, mein Schreien beim Proben einzusetzen. Das macht warm. Und dann kommt bald die Motivation: Mit der Stimme kann man die ganze Seele aktivieren.“ Dabei ist das Schreien eine ganz besondere Form der Kommunikation. Ein Angstschrei etwa regt durch seine akustisch rauen Töne im Gehirn jene Regionen an, die Furcht und Unwillen auslösen – wie übrigens auch eine Sirene oder das Brüllen eines Babys. Und das ist nur ein Schrei aus dem menschlichen Repertoire. Schreien kann man aus vielen Gründen – auch aus Freude.

Endlich einmal im Freien schreien, das klingt gerade in Zeiten rigider Corona-Vorschriften verlockend. Takeya will in ihrem Workshop „Schrei X8“ dazu anregen, „eingeschlossene Emotionen“ und gesellschaftlichen Druck abzulassen. Mit der Pandemie und der Verzweiflung über Kasernierung und Vorschriften habe das aber nichts zu tun, sagt sie. Denn sie habe schon im Vorjahr überlegt, ihre Schrei- und Körpertechniken in einem Workshop zu vermitteln. „Es geht darum, die Stimme als Instrument weiterzuentwickeln und mithilfe der einzelnen Vokale den ganzen Körper zum Schwingen zu bringen.“ Das helfe, Spannungen abzubauen und eine gewisse Befreiung zu erleben.

„Das ist ja keine Religion“

Ob sie dabei an Arthur Janovs psychotherapeutische Urschrei-Therapie gedacht hat, bei der man sich den frühkindlichen „Urschmerz“ von der Seele schreit? Nein, sagt Takeya. Sie wolle auch nicht zu viel hineininterpretieren. „Das ist ja keine Religion. Und ich bin auch keine Therapeutin.“ Vielmehr wollte Takeya ursprünglich Sängerin werden. In New York. Doch die Liebe verschlug sie nach Wien. Sie blieb. Statt zu singen widmete sie sich der Performance und Choreografie – und kam erst mit etwas Verspätung wieder auf ihre Stimme zurück. „What to do when you feel like you want to scream?“, fragt sie ihre potenziellen Workshop-Teilnehmer.

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