Von Krähen und Papageien

Mikroskopische Betrachtungsweise. Dietmar Krug.
Mikroskopische Betrachtungsweise. Dietmar Krug. (c) Pilo Pichler
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Erst nach und nach erfährt der Leser, was den Protagonisten zum Außenseiter gemacht hat – Karl zieht Frauenkleider an. „Von der Buntheit der Krähen“: Mit Liebe zum Detail beschreibt Dietmar Krug ein Dorf, aus dem die Idylle verschwunden ist.

Der Titel irritiert. Er widerspricht der Erfahrungswirklichkeit. Krähen, wissen wir, sind schwarz. Und wenn der jüngste Roman von Dietmar Krug „Von der Buntheit der Krähen“ (und nicht etwa „Die Buntheit der Krähen“) heißt, suggeriert die Präposition „von“, dass etwas abgehandelt werde, dessen Vorhandensein einem allgemeinen Konsens entspricht (wie etwa in Senecas „Von der Kürze des Lebens“).

Auffallend wie der Titel sind die Überschriften der zahlreichen Kapitel, in die der Roman gegliedert ist. Sie bestehen zum größten Teil aus einem Substantiv, mit oder ohne Artikel. Irritierend sind freilich auch Verstöße gegen die Grammatik. So soll im ersten Absatz das Singularprädikat „war“ sowohl mit dem „Blick“ wie mit den „tief liegenden Augen“ kongruieren. Tut es aber nicht. Und dass „Chanson“ bei Krug männlich ist, wirkt zwar apart, aber ungewohnt.

Hier am Anfang jedoch wird eine andere Eigenart des Romans erkennbar: die Genauigkeit der Beschreibung, die mikroskopische Betrachtungsweise, die Liebe zum Detail. Diese Details sind oft visueller Natur und nähern den Text einem Treatment für einen Film oder eine Fernsehserie an. Insbesondere physiognomische Feinheiten scheinen für Krug eine schriftstellerische Herausforderung darzustellen. Man glaubt gar nicht, was sich im Gesicht alles und auf wie viele verschiedene Weisen bewegen kann.

Wilhelm Hengstler hat im „Spectrum“ anlässlich eines Buchs von Max Höfler darauf hingewiesen, dass Traktoren in Österreich ikonischen Charakter hätten und mit Protest assoziiert würden. Auch bei Dietmar Krug, gleich im ersten Satz, wird ein Traktor erwähnt. Er gehört Karl Ritz, dem Sohn eines kriminellen Vaters, der selbst zweimal im Gefängnis gesessen ist. Roland, der Cousin der Hauptfigur, warnt diese vor Karl. Der ist, wie nach und nach deutlich wird, der Outlaw, die Projektionsfläche für die in die Jugend zurückreichende Antipathie der Menschen, die ihn umgeben.

Die Struktur von Krugs Roman folgt einem traditionellen Muster. Ein Mann – Thomas Neukirch – kehrt, mittlerweile um die 50 Jahre alt, in das Dorf seiner Jugend zurück und findet eine zugleich vertraute und veränderte Welt vor. Zu Thomas und Roland gesellt sich ein dritter Jugendfreund, Harald Leitner. Erst nachdem die männlichen Protagonisten eingeführt wurden, haben Karin und weitere Frauen ihren Auftritt, die differenzierter noch als die Männer das Spektrum möglicher politischer Einstellungen von Vorurteil bis Vernunft abdecken. Nach und nach erfährt der Leser, was Karl zum Außenseiter macht: Er zieht sich, zunächst im Verborgenen, Frauenkleider an und will Sissy genannt werden. Er ist, wie sich herausstellt, Transsexueller. Die Therapeutin in der Strafanstalt klärt ihn auf: „Die Medizin betrachtet das heute längst nicht mehr als Krankheit. In den Lehrbüchern nennt man das ,Geschlechtsidentitätsstörung‘.“ Und: „Es gibt eine alte Redensart für das Phänomen: eine weibliche Seele, die in einem männlichen Körper gefangen ist.“ Als Karls „Geschlechtsdysphorie“ bekannt wird, verstärken sich die Aggressionen gegen ihn.

Transphobie, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit – ein Motiv, das wir aus Martin Sperrs „Jagdszenen aus Niederbayern“ kennen, aus Franz Josef Degenhardts Lied „So sind hier die Leute“ oder aus Jean-Paul Sartres „Respektvoller Dirne“. Und, so muss man hinzufügen, aus dem wirklichen Leben. Thomas wiederum laboriert an seiner Familiengeschichte.

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