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Wie Romeo und Julia – nur ganz, ganz anders

Innige Momente  einer geheimen Liebe: Paul Mescal als Connell, Daisy Edgar-Jones als Marianne.  [ StarzPlay ]
Innige Momente einer geheimen Liebe: Paul Mescal als Connell, Daisy Edgar-Jones als Marianne. [ StarzPlay ]Starzplay
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Sally Rooneys „Normal People“, die literarische Sensation aus Irland, wurde verfilmt – das Ergebnis ist der Serienhype der Saison. Erzählt wird von der Liebe zweier Teenager. Und gezeigt werden Sex-Szenen, die allen Klischees trotzen.

Nein, hier passiert nicht viel. Die Geschichte, die auf 320 Seiten bzw. in sechs Stunden erzählt wird, ist so unspektakulär wie oft das Leben. Sie handelt von einem Burschen und einem Mädchen, sie leben in einem Kaff in der irischen Provinz, über deren Dialekt man in Dublin gern lacht, gehen in dieselbe Schule. Das Mädchen kommt aus gutbürgerlichem Hause, den Burschen lernen wir kennen, als er seine Mutter, die in eben diesem bürgerlichen Haushalt putzt, von der Arbeit abholt. Reiches Kind. Armes Kind. Eine Mesalliance, aber nicht, wie man glauben möchte: Connell ist beliebt, umgänglich, loyal, mit den richtigen Schülern befreundet. Und spielt Fußball. Ziemlich gut sogar.

Marianne dagegen ist die große Außenseiterin – und in der Serie vielleicht ein bisschen gar hübsch mit ihrem Schwanenhals, den großen Augen und ohne schiefe Zähne. Sie ist bockig. Unangepasst. Dass sie sich gern mit den Lehrern anlegt, scheint ihr bei ihren Klassenkameraden auch nicht zu helfen. Trotzdem finden die beiden zusammen. Und trennen sich. Und finden wieder zusammen. Und trennen sich. Ohne großen Streit. Ohne Drama. „Bitte geh“, wird sie sagen. Und er wird gehen.

Äußere Ruhe, innerer Sturm

Dabei handelt „Normal People“, das zweite, als Sensation gefeierte Werk der 29 Jahre alten irischen Autorin Sally Rooney, das nun als Serie verfilmt wurde, von der Liebe, der großen, großen Liebe, wie man sie von Shakespeare kennt oder von George Eliot. Von zweien, die füreinander geschaffen, einander verfallen sind. Es ist dieser Gegensatz zwischen äußerer Ruhe und innerem Sturm, großen Gefühlen und kleinen Gesten, der den Roman ausmacht – und auch die Serie, die ihm getreuest, vielleicht manchmal allzu getreu, folgt.

Wie oft beginnt die große Liebe zaghaft: In der ersten Folge beobachten wir Daisy Edgar-Jones als Marianne, wie sie auf der Tribüne das Match der Highschool-Mannschaft verfolgt. Als ihr Angebeteter (zart und dabei durchaus grobschlächtig: Paul Mescal) die entscheidenden Tore schießt, verschwindet alles Trotzige aus ihrem Gesicht. Für die Länge dieses Spiels ist sie ein glücklicher Teenager, einfach nur verliebt. Und als er sich dann bei der Rückfahrt im Bus neben sie setzt, ist das Glück perfekt. Auch wenn er kein Wort an sie richtet.

Klassengegensätze gibt es noch immer

Das wird er auch später nicht tun, nicht in der Öffentlichkeit. Er wird sich von ihr verführen lassen, er wird sie lieben lernen, aber vor anderen Schülern ignoriert er sie weiter. Er, dessen Onkel im Gefängnis sitzt, dessen Familie einen „schlechten Ruf“ hat, kann es sich schlicht nicht leisten, sich mit einer Außenseiterin blicken zu lassen. Zumindest glaubt er das.

Er irrt.

Klassengegensätze gibt es immer noch. Sie sind nur verdeckter als früher, ihre Mechanismen subtiler. Und Sally Rooney ist großartig darin, sie aufzuspüren, auch und gerade in der Liebe.

Worin sie noch großartig ist: Uns an den Gedanken ihrer Heldin, ihres Helden teilhaben zu lassen, so zerfahren sie sein mögen, so verrückt, so widersprüchlich. Das kann die Serie natürlich nicht leisten, versucht es auch gar nicht, sie verlässt sich darauf, dass die überraschend offenen, intimen Gespräche der beiden miteinander uns reichen, und dass wir uns in der Zeit, da wir Connell und Marianne folgen, wie sie die Gänge der Schule entlangschlendern oder in ihren Zimmern auf ihr Handy starren, unsere eigenen Gedanken machen.

Nicht pornografisch

Die Serie schenkt uns dafür etwas anderes: Wirklich beglückende, berührende und unüblich ausführliche Sex-Szenen. Szenen, die keiner wie auch immer gearteten Ästhetik hinterherjagen, mit den üblichen schön geschwungenen Hüften und sinnlich geöffneten Mündern, sanft gerundeten Brüsten und anmutig durchgebogenen Rücken. Die auch nicht dem Klischee huldigen, dass wahre Leidenschaft damit zu tun hat, dass man sich die Kleider vom Leib reißt und nie, nie, nie nachfragt, ob das so jetzt auch okay ist. Sondern die zärtlich sind und innig und zeigen, dass Sex – was ja auch der Roman immer wieder betont – verbindet, wenn man den richtigen Menschen trifft, dass das biblische einander Erkennen wahr werden kann und jede Verstellung endet.

Und nein, das ist – weil man das der Serie auch schon vorgeworfen hat – nicht pornografisch.

„Normal People“, seit 16. Juli auf dem Amazon-Channel Starzplay. zwölf Folgen à 30 Minuten, inszeniert von Lenny Abrahamson und Hettie Macdonald, produziert für Hulu und BBC. Der Roman „Normale Menschen“ erscheint am 17. August im Luchterhand Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2020)

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