Afghanistan: "Niederländer lassen uns im Stich"

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Nach vier Jahren beendet die Haager Regierung den Einsatz am Hindukusch. Die Provinz Uruzgan, wo die Truppen stationiert waren, gilt als weitgehend befriedet. Während des Einsatzes verloren 24 Militärs ihr Leben.

Den Haag. Robin, Dirk und Björn gehen ihre letzte Patrouille in Uruzgan. Nicht weit vom Hauptquartier „Camp Holland“ der niederländischen Isaf-Truppen bei Tarin Kowt patrouillieren sie mit anderen Kameraden in den umliegenden Dörfern. In einer Woche werden die drei niederländischen Isaf-Soldaten höchstwahrscheinlich wieder zurück in der flachen Polderlandschaft ihres Heimatlandes sein. Denn am 1. August beenden die Niederlande einseitig ihren Militäreinsatz in Afghanistan.

Vier Jahre hat er gedauert. Rund 2000 niederländische Isaf-Soldaten waren in der südafghanischen Provinz Uruzgan stationiert. Sie leisteten dort Aufbauhilfe, bauten Schulen und Krankenhäuser und kämpften gegen die Taliban. Während dieses Einsatzes verloren bisher 24 niederländische Militärs ihr Leben, 140 wurden verletzt.

Unter den in Afghanistan gefallenen Niederländern ist auch der Sohn des Viersterne-Generals und Oberbefehlshabers der niederländischen Streitkräfte, Peter van Uhm. Dennis van Uhm starb im Alter von 23 Jahren am 19.April 2008 bei einem Bombenanschlag der Taliban: „Das eigene Kind zu verlieren – ich weiß, was das bedeutet. Aber jeder Tote in Afghanistan ist einer zu viel. Dennis stand mit beiden Beinen auf dem Boden. Er wusste, was wir in Afghanistan tun, und er wollte uns dabei helfen“, sagt der General.

Regierung stürzte über Einsatz

Dass dieser Einsatz nun endet, das ist das Ergebnis einer Entscheidung der Haager Regierung. Sie wurde eigentlich schon vor zwei Jahren getroffen, sollte aber Anfang des Jahres auf Wunsch der mitregierenden Christdemokraten revidiert werden. Über eine Verlängerung des Einsatzes in Afghanistan kam es zum Streit zwischen Christ- und Sozialdemokraten, was zum Sturz der Haager Regierung im April und zu vorgezogenen Wahlen am 9.Juni führte.

Die Sozialdemokraten hielten ultimativ am Truppenabzug aus Afghanistan zum 1.August fest, die Christdemokraten wollten, dass die holländischen Truppen länger bleiben. Die Isaf- und die Nato-Verbündeten waren und sind enttäuscht darüber, dass die Niederländer nun vorzeitig ihr Truppenkontingent aus Afghanistan abziehen. „Eigentlich lassen sie uns im Stich“, sagt ein hoher deutscher Offizier, der nicht namentlich genannt werden will.

Auch ranghohe niederländische Offiziere teilen diese Einschätzung. Viele von ihnen meinen ebenfalls, man lasse die Nato- und Isaf-Verbündeten im Stich. Doch die Niederländer haben in den vergangenen vier Jahren in Uruzgan mit ihrer Doppelstrategie, die aus friedlichem Wiederaufbau und militärischem Kampf gegen die Taliban bestand, viel erreicht.

Auch Kanadier gehen

Zwar konnten sie die Taliban nicht völlig aus der Provinz vertreiben. Aber Uruzgan wurde größtenteils befriedet, und der Kontakt, den die niederländischen Isaf-Truppen zu der örtlichen Bevölkerung aufgebaut haben, ist ihren eigenen Angaben zufolge ausgesprochen gut.

Den Platz der Niederländer werden nach dem 1.August US-Truppen einnehmen. Sie übernehmen auch die Unterkünfte der Dutch Task Force in Afghanistan sowie einen Großteil des militärischen Geräts. Die holländischen Isaf-Soldaten werden nach der Rückkehr in die Heimat ein umfangreiches Nachsorgeprogramm durchlaufen.

Das findet allerdings nicht in den Niederlanden statt. „Wir werden Debriefings auf Kreta organisieren. Wir haben alle Mittel, unseren Soldaten zu helfen, wenn der eine oder andere traumatisiert ist. Aber ich hoffe, dass dies nicht der Fall ist“, stellt General van Uhm fest.

Die Niederländer sind allerdings nicht die Einzigen, die gehen: Der neue polnische Präsident Bronislaw Komorowski etwa hat im Wahlkampf einen Abzug bis 2012 versprochen. Bedauert hat man in Washington speziell die Ankündigung Kanadas, bis Ende 2011 alle 2800 Soldaten heimzuholen. Ob die auf dem Papier bestehende Absicht der USA halten wird, selbst 2011 mit dem Abzug zumindest zu beginnen, ist aufgrund der militärischen Lage fraglich.

AUF EINEN BLICK

Der Afghanistan-Einsatz brachte Mitte Februar die niederländische Regierung zu Fall: Während die Christdemokraten den Einsatz gerne verlängert hätten, schlossen die Sozialdemokraten dies kategorisch aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2010)

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