Die USA fordern, dass die Internetplattform WikiLeaks rund 77.000 geheime Kriegsdokumente wieder löscht und vor allem 14.000 noch nicht veröffentlichte zurückgibt. Der Druck auf Wiki-Leaks wurde erhöht.
Wien/Washington. Die Aufforderung seitens des Pentagons wirkte etwas hilflos, ja fast rührend: Die Internetplattform WikiLeaks möge doch bitte „das Richtige tun“ und alle Dokumente über den Krieg in Afghanistan, die sie „auf unerlaubte und ungehörige Weise“ erhalten habe, zurückgeben, also sie von ihren Servern löschen. Als ob man etwas, das seit bald zwei Wochen im Internet kursiert wie die rund 77.000 einst geheime Dokumente, einfach zurück in den Giftschrank sperren könnte, als wäre nichts passiert. Weitere 14.000 Dokumente hat die Plattform allerdings noch nicht veröffentlicht, und der US-Regierung liegt viel daran, dass das auch so bleibt.
Nach der höflichen Bitte kam freilich die Drohung: „Wenn sie sich zu gut dafür sind, das Richtige zu tun, werden wir uns überlegen, welche Alternativen wir haben, um sie dazu zu bringen, das Richtige zu tun“, sagte Pentagon-Sprecher Geoff Morrell in der Nacht auf Freitag in Washington.
WikiLeaks ist eine 2007 gegründete Internetplattform, die auf das Veröffentlichen geheimer Dokumente spezialisiert ist. Die Bandbreite reicht von Korruption in Kenia über Scientology in Großbritannien bis zu einem CIA-Dokument, das sich damit beschäftigte, wie man WikiLeaks „schaden oder es zerstören“ könnte.
Die aufsehenerregendste Veröffentlichung gelang vergangene Woche mit den Afghanistan-Dokumenten: Berichte aus dem „Feld“, geheimdienstliche Einschätzungen und manch offenes Wort über die Verbindungen des US-Verbündeten Pakistan zu den Taliban. Seither ist die US-Regierung um Schadensbegrenzung bemüht – und erhöht den Druck auf Wiki-Leaks.
•Tiefstapeln: Das Pentagon gab zunächst die Devise aus: alles halb so schlimm. Das Ausmaß der Enthüllungen sei zwar alarmierend, der Inhalt aber nicht sehr aufschlussreich, sagte Sprecher Morrell. Diese Linie verfolgte auch Präsident Barack Obama: Er sei zwar besorgt über die Veröffentlichung. Tatsache sei aber, dass die Dokumente nichts enthüllten, was nicht ohnehin schon Teil der öffentlichen Debatte über Afghanistan sei.
•Problemanalyse: In Wahrheit konnte das Pentagon zu diesem Zeitpunkt noch gar keinen Überblick über den exakten Inhalt der Dokumente haben. Deshalb wurde ja eine 80-köpfige Expertengruppe aus Pentagon- und FBI-Leuten gebildet, um die Texte auf „schädliche Informationen“ zu prüfen, wie Morrell am Donnerstag sagte. Dieses Team soll auf 125 Personen aufgestockt werden. Das Material wird auf rund 400 Signalwörter gescannt. Im Anschluss wird noch einmal jedes einzelne Dokument Seite für Seite geprüft. •Moralischer Druck: Von Anfang an verfolgten Pentagon und Weißes Haus die Linie, WikiLeaks' Handeln als im höchsten Grade verwerflich darzustellen: „Die Dokumente können das Leben von Amerikanern, unsere Partnern und die nationale Sicherheit gefährden“, hieß es in der ersten Reaktion des Weißen Hauses. Generalstabschef Mike Mullen legte dann kräftig nach: Möglicherweise habe WikiLeaks bereits „Blut an den Händen“, Die Veröffentlichung bringe afghanische Informanten der USA in Lebensgefahr, da sie anhand der Dokumente von den Taliban ausgeforscht werden könnten. Diesen Vorwurf konnte WikiLeaks bisher nicht entkräften.
Im Gespräch mit der „Presse“ hat WikiLeaks-Sprecher Daniel Schmitt zwar gesagt, man habe das Pentagon wegen 14.000 weiterer Dokumente kontaktiert. Die US-Militärs sollten vor einer Veröffentlichung prüfen, ob dadurch Informanten gefährdet werden. Das stimmt nicht, sagt das Pentagon. Eine der beiden Seiten lügt.
•Suche nach dem Leck: Im Hintergrund läuft seit dem ersten Tag fieberhaft die Suche nach dem oder den Leck(s). Das Pentagon verdächtigt den Soldaten Bradley Manning, in die Weitergabe verwickelt zu sein. Manning ist längst in Haft, weil er beschuldigt wird, ein im Frühjahr veröffentlichtes Video aus dem Irak an WikiLeaks weitergegeben zu haben, das zeigt, wie US-Soldaten mehrere Zivilisten töten. Findet das Pentagon die Quelle, wäre das für WikiLeaks ein schwerer Schlag, weil es potenzielle Informanten abschreckt, ihre „heiße Ware“ anzubieten.
Die verschlüsselte Bombe
WikiLeaks hat derweil eine mysteriöse, verschlüsselte Datei mit dem Namen „Versicherung“ im Internet platziert. Es sei eine „Sicherheitsvorkehrung“, mehr will man seitens der Plattform dazu gar nicht sagen. Freilich gibt es Spekulationen, die Datei enthalte eine „Bombe“ mit hochbrisanten Informationen – die platzen soll, wenn die US-Behörden gegen die Plattform vorgehen und Assange oder seine Mitstreiter verhaften.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2010)