Durchdacht. Ihre Masterarbeit lehnte Tra My Nguyen an Motorradschutzbekleidung in Vietnam an.
Modebusiness

Kreative Ausbeute: Von einer Berliner Jungdesignerin zur globalen Luxusmarke

David und Goliath im Reich der Mode: Wie die Berliner Jungdesignerin Tra My Nguyen ihre Ideen bei einer Pariser Luxusmarke wiederfand, ist symptomatisch für ein existierendes Machtgefälle. Und anscheinend kein Einzelfall.
 
 

Kürzlich war im „New York Times Magazine“ eine interessante – und furchterregende – Prognose für die Post-Coronazeit in der Modewelt zu lesen. Künftig, mutmaßte die Autorin Irina Aleksander, könnte es sich hier so ähnlich verhalten wie schon seit Längerem in der Filmproduktion: Am einen Ende der Skala stehen riesige Studios, die ihr Geld mit Blockbustern verdienen. Am anderen Ende rangieren mit vergleichsweise geringen Budgets produzierte Indie-Filme. Und dazwischen: das Nichts. Kein Mittelbau, kein Mittelmaß, das Verschwinden der Mittelklasse.

Diese Entwicklung scheint sich tatsächlich auch in der Mode schon seit einiger Zeit – im Grunde seit Beginn der Globalisierung und der Verlagerung von Produktionsketten nach Ostasien – abzuzeichnen. Mehr schlecht als recht wirtschaftende kleine Designerlabels mit ansprechenden Kollektionen bedienen zu kleine Kontingente, als dass sich die Verlagerung der Fertigung auszahlen würde. Gerade deswegen könnten sie immerhin bald von einem neu erwachenden Wunsch europäischer Konsumenten nach lokal produzierter Mode profitieren.

Chancenlos unterlegen

In einem unerbittlichen Branchenpowerplay sind diese unabhängigen Kreativunternehmen dennoch ihren riesigen Konkurrenten heillos unterlegen. Von einem David-versus-Goliath-Match lässt sich da nur schwer sprechen – zu gering sind die Chancen kleiner Marken, sich in egal welchem Widerstreit durchzusetzen. Manche dieser häufig jungen  Designer werden von Luxusfirmen engagiert, bisweilen kauft ein Großkonzern ein Nischenlabel auf, hie und da schlägt sich ein Designer langfristig allein durch. Sich Gehör zu verschaffen ist freilich schwer. Potenzielle Visibilität in sozialen Medien stellt hier für viele einen Lichtblick dar.

Einige spezialisierte Instagram-Accounts oder Blogs helfen außerdem kleineren Labels dabei, besonders dreiste Beispiele von Einschüchterung, „Appropriierung“ oder schlicht Plagiat aufzudecken. Ein frappierender Fall solcher Ideenübernahme trug sich Anfang des Sommers zu: Durch ein Instagram-Posting eines Stylisten wurde die junge Berliner Designerin Tra My Nguyen, Absolventin eines Masterstudiums für Modedesign an der Universität der Künste, auf ein Bild im Account der Marke Balenciaga aufmerksam, das direkt von ihrer Masterarbeit inspiriert zu sein schien.

Es handelte sich in der Originalversion um einen von Textilien überzogenen Motorroller, der in Skulpturform gebracht wurde und als Vorlage für Modeentwürfe diente. Inspirationsquelle waren  Schutzbekleidung und Street Styles von Motorradfahrerrinnen in Vietnam. „Ich habe diese Styles dekonstruiert und zu Textilcollagen zusammengesetzt. Es ging in meinem Diplomarbeit aber nicht nur um die Form, sondern auch um die Rolle der Frauen in diesem Kontext“, erzählt Tra My Nguyen.

„Von Frauen wird erwartet, dass sie sich mit  Schutzbekleidung verhüllen, damit sie zum Beispiel dem Schönheitsideal der Blässe entsprechen und ,repräsentativ‘ sind. Diese konkrete  gesellschaftliche Funktion der Schutzbekleidung wollte ich in einem künstlerischen Projekt aufgreifen.“

Ausblick. Die Berliner UdK-Absolventin strebt nun eine Karriere in der Kunstwelt an.
Ausblick. Die Berliner UdK-Absolventin strebt nun eine Karriere in der Kunstwelt an.Tra My Nguyen

Nguyen, die selbst im Alter von sieben Jahren aus Vietnam mit ihrer Familie nach Deutschland kam und in Halle ein Bachelorstudium absolvierte, ehe es sie nach Berlin zog, zeigte sich geschockt angesichts des bei Balenciaga auftauchenden Bildes. Der Fall wurde von dem auf solche Vorkommnisse spezialisierten Instagram-Account „Diet Prada“ aufgegriffen und machte so in sozialen Medien die Runde.

Für Nguyen bestand kein Zweifel daran, dass ihre Masterarbeit als Vorlage gedient hatte. Eine Recruiterin aus dem Balenciaga-Team hatte sich nämlich in den Monaten zuvor bei Absolventen der Kunstuniversität umgeschaut und vorgeblich nach Jungdesignern für das Kreativteam gesucht.

Von einigen, auch Tra My Nguyen, wollte sie in weiterer Folge das Designportfolio sehen und detaillierte Informationen erhalten. „Ein Bekannter aus der Kreativszene, der sich besser mit solchen Situationen auskennt, hatte damals schon gesagt, dass er diese Vorgehensweise merkwürdig finde“, erinnert sich Nguyen. „Wir sind vielleicht auch etwas naiv mit der Situation umgegangen. Doch wenn eine Headhunterin von Balenciaga kommt, dann überlegt man als Studentin im Abschlussjahr nicht zwei Mal, wenn so jemand nach dem Portfolio verlangt“, gibt sie zu bedenken.

Kein Einzelfall?

Das weltweite Echo auf diesen Vorfall, den Tra My Nguyen durch einen  sehr persönlich formulierten Kurztext auf ihrem eigenen Account kommentierte, stimmt die junge Frau dennoch zuversichtlich. Es gehe ihr nicht um einen Feldzug gegen Balenciaga (wo man später beteuerte, das Social-Media-Team sei zu keinem Zeitpunkt mit irgendwelchen  Talentescouts in Kontakt und das, mittlerweile gelöschte, Bild sei nicht von der Arbeit einer Künstlerin inspiriert), sondern darum, bestimmte Mechanismen aufzuzeigen.

„Es ist gut, wenn dieser Vorfall immerhin eine Diskussion ausgelöst hat und jungen Absolventen dabei hilft, in  vergleichbaren Situationen anders zu agieren“, sagt Nguyen. In privaten Nachrichten und E-Mails hätten ihr einige Branchenkollegen von vergleichbaren Vorfällen berichtet. Dass es denkbar ist, einen in der Biografie einer Kreativen verankerten Rechercheprozess sowie das Ergebnis einer universitären Abschlussarbeit zu einem zwischendurch geposteten Instagram-Bild herabgewürdigt zu sehen, schockiert bei diesem Zwischenfall besonders. Sollte der Plagiatsvorwurf berechtigt sein, macht in diesem Zusammenhang die beinah bodenlose Respektlosigkeit gegenüber einem mit großem Aufwand betriebenen Projekt betroffen.

„Das wäre dann auch typisch für die Mode: Man bedient sich bei der Ästhetik, lässt aber den Hintergrund weg“, sagt Tra My Nguyen. Sie sieht sich derzeit übrigens nicht mehr nach einem Job im Fashionbusiness um, sondern bereitet mit anderen Berliner Jungkünstlern eine Gruppenausstellung vor. Und es lässt sich ja gut nachvollziehen, das Nguyen bis auf Weiteres die Lust auf eine Karriere in der Modewelt vergangen ist – oder von einer Recruitingspezialistin ausgetrieben wurde.

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