Warum ich auf einem Londoner Friedhof zwischen Anna Mahler und Eric Hobsbawm an meinen oberösterreichischen Heimatort dachte.
Sagen Sie bitte nicht, das ist eine Alterserscheinung: Ich bin nämlich immer schon gerne auf Friedhöfe gegangen. So auch vor zwei Jahren in London. Wir fuhren zum Highgate Cemetery. Meine Frau suchte das Grab von Lucian Freud und George Michael, ich das von Anna Mahler, der Bildhauerin.
„Sie hat ein ungeheures Talent gehabt, Menschen zu Sklaven zu machen“, hatte die über ihre berühmt-berüchtigte Mutter Alma gesagt: „Und wenn jemand nicht ihr Sklave geworden ist, war er nichts wert.“ Wenig Wunder, dass sich die vernachlässigte Tochter in Ehen und Affären stürzte, so auch angeblich in eine Beziehung zu Kurt Schuschnigg. Der beendete diese Liaison nach dem Unfalltod seiner Frau im Jahr 1935: Er soll darin eine Strafe des Himmels für seine Sünde gesehen haben.
Etwa fünfzig Meter von der letzten Ruhestätte der Bildhauerin entfernt, vorbei an Alan Sillitoe, Faraday, Galsworthy und Karl Marx, steht ein schmaler grauer Grabstein. „Eric Hobsbawm, Historian, 1917 – 2012“, lautet die schlichte Inschrift. Ich musste mitten in London an meinen oberösterreichischen Heimatort denken. 1930 war Hobsbawm nämlich in Weyer gewesen. Er hatte dort seine lungenkranke Mutter besucht. Die Ärzte hatten gehofft, dass sie in der Höhenluft gesunden werde. Das „Hotel Post“ konnten sich die Hobsbawms nicht leisten. So wohnten sie bei einer Eisenbahnerfamilie. Mit deren Sohn stibitzte der junge Eric Äpfel, warf Steine auf die Forellen in der Gaflenz und machte die Gärten unsicher: Wie bekannt mir das alles aus meinen Kinderjahren vorkommt.