Nachfolger

No Time to Die: Land Rover Defender

Voller Ernst: Beim James-Bond-Museum, hoch über Sölden im Ötztal, wohin sich ein Ur-Defender als Eremit zurückgezohen hat. Der Neue begehrt Zufahrt.
Voller Ernst: Beim James-Bond-Museum, hoch über Sölden im Ötztal, wohin sich ein Ur-Defender als Eremit zurückgezohen hat. Der Neue begehrt Zufahrt.(c) Jürgen Skarwan
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Der Vorgänger parkt im Olymp der Automobilgeschichte. Wie bewegt uns der neue Defender?

Man muss einleitend ein wenig sentimental sein. Der Land Rover, den man erst ab 1990 Defender nannte, wurde fast 70 Jahre lang weitgehend unverändert gebaut. Dass viele abgelegene Gebiete Afrikas erforscht werden konnten, hat man auch ihm zu verdanken. Man konnte im Defender zwar nicht ordentlich sitzen, musste die linke Schulter verrenken, riskierte auf der Autobahn Gehörschaden und Bandscheibenvorfall – aber es war halt der Defender. Ein unkaputtbarer Geländewagen, eine motorische Ikone.

Jetzt steht er auf dem Olymp der Automobilgeschichte, für immer betrauert von leidenschaftlichen Fans, die auf Gebrauchtplattformen aberwitzige Preise bezahlen für Exemplare, die nur dank des Leiterrahmens noch nicht in sich zusammengefallen sind. Zwei Millionen Stück wurden seit 1948 gebaut, mehr als 50 Prozent sind noch auf den Straßen und vor allem im privaten Gelände unterwegs, wo durchgerostete Bodenplatten und Türen nicht automatisch den gesetzlich angeordneten Weg zur Schrottpresse zur Folge haben.

In den letzten Jahren seiner Produktion, 2016 in einem PR-Hochamt im Stammwerk Solihull beendet, lag der Absatz zwischen 20.000 und 25.000 Exemplare pro Jahr. Die Puristen hielten ihm die Treue, die hartgesottenen Offroader, die ein verlässliches Fahrzeug benötigten, das sich notfalls mit dem Vorschlaghammer reparieren ließ, und natürlich auch Bohemiens, die den Defender als Fashion-Statement in die Innenstädte brachten.

Einen würdigen Nachfolger zu bauen, der die Vorschriften für Fußgängerschutz und Umwelt erfüllt – keine leichte Aufgabe. Äußerlich hat Chefdesigner Gerry McGovern die charakteristische Silhouette der Ikone erhalten und Details übernommen, wie die Alpine-Fenster im Dach. Die Überhänge blieben – wichtig fürs Gelände – kurz, vorn meistert man Böschungswinkel von 38, hinten 40 Grad. Die Seitenneigung bzw. der Kippwinkel beträgt angeblich 45 Grad. Wir übernehmen für diese Zahl aber ebensowenig eine Garantie wie Land Rover, die in den offiziellen Papieren keinen Winkel nennen. Wirklich ausprobieren werden das nur Hartgesottene, üblicherweise fürchtet man schon weitaus früher ein seitliches Umkippen. Genauso, wenn man die maximal möglichen 45 Grad nach unten fährt (nach oben wirkt eine 100-Prozent-Steigung weniger bedrohlich).

»Der Neue hat mit dem Alten nicht eine einzige Schraube gemein.«

Unter der Schale erinnert nichts an den Vorgänger. Der Neue hat mit dem Oldie nicht eine einzige Schraube gemein. Land Rover hat sich von den Offroad-Insignien eines Geländewagens verabschiedet, von Leiterrahmen und Starrachsen. Auch liebgewonnene Eigenheiten sind dahin: Die Handbremse sperrt nicht mehr die Kardanwelle, sondern wirkt auf die Räder, elektrisch.

Das Aluminium-Monocoque des Defenders steht auf der gleichen Plattform wie Range Rover oder Discovery – man hat sie aber verstärkt und ihr den Zusatz X für „Extreme“ gegeben. Laut Land Rover hält sie vertikale Belastungen auf das Fahrwerk von mehr als sieben Tonnen aus, wichtig bei der Landung nach Geländesprüngen in James-Bond-Manier, demnächst zu sehen in „No Time to Die“ (in „Spectre“ glänzte der alte Defender, ins sehenswerte Bond-Museum nach Sölden im Ötztal ausgemustert).

Werte, die man in den technischen Angaben gern übersieht oder gar nicht findet, sind in der Praxis noch wichtiger: Die maximal mögliche Zuladung. 910 Kilogramm kann man in den Defender packen – selbst unter fünf ausgewachsenen US-Amerikanern samt Gepäck bricht er also nicht zusammen. Und das Dach trägt dynamisch 168 Kilogramm, statisch bis 300 Kilogramm.

Das Reserverad als Zunft-Emblem aller Gelände-Honchos, auch die Leuchten zitieren den Oldie.
Das Reserverad als Zunft-Emblem aller Gelände-Honchos, auch die Leuchten zitieren den Oldie. (c) Jürgen Skarwan

Die Wattiefe im unveränderten Originalzustand steigt dank Luftfederung auf maximal 90 Zentimeter, fast eine Verdoppelung. Im Alten stand man da ohne Schnorchel schon 40 Zentimeter unter Wasser. Die Vorzüge moderner Technologie merkt man auch, wenn man durch Furten, Schluchten und schmale Übergänge fährt. Früher musste man sich auf Handzeichen des Beifahrers verlassen, jetzt kann man selbst die Verantwortung übernehmen, wenn es trotz 360-Grad-Videoansicht zu Kontakt mit Baumstämmen kommt. Oder wenn man seitlich abrutscht, obwohl Land Rover raffiniert das Bild aus einer Frontkamera so aufs Display spielt, als blicke man durch die Bodenplatte zwischen den beiden Rädern direkt nach vorn.

Für die meisten der neuen Käufer wird die Geländegängigkeit Folklore sein, ähnlich wie beim Mercedes G, der vom großen Teil der Käufer maximal in die Beverly Hills ausgeführt wird. Wobei man immer könnte, wenn man wollte. Der Defender bietet zudem jeden Komfort eines Luxus-SUV mit allen Assistenten, Infotainment-System, zwölf Strom- und USB-Anschlüssen, Spracherkennung, Zehn-Zoll-Touchscreen und 700-Watt-Surround-Anlage. Alles, wie man es auch vom Range Rover kennt, halt auf rustikal: Mit sichtbaren Schrauben in der Türverkleidung und leicht abwaschbarem Plastik. Mit diesem Angebot wagt sich Land Rover jetzt auch in die USA, nach Saudiarabien, Russland, China, Japan, wohin es der Ur-Defender nur als Grauimport schaffte. Der Neue ist ein Auto für die ganze Welt, in braver Übereinstimmung mit den unterschiedlichen, Produktnormen, Prüfzyklen und Sicherheitsvorschriften. Nur eine Änderung hat Land Rover gleich nach dem Verkaufsstart vorgenommen: Der Vierzylinder-Diesel wird von Sechszylindern ersetzt. Auch eine Neuerung, mit der wir durchaus leben können.

(c) Jürgen Skarwan

In der Fahrspur einer Ikone

Mit Reserverad über fünf Meter lang, auch wenn 110 (inches) nur mehr symbolisch für den Radstand steht.

Name: Land Rover Defender 110 D240
Preis: 83.936 Euro (Ausstattung SE)
Motor: R4-Turbodiesel, 1998 ccm
Leistung: 240 PS
Antrieb: Allrad
Gewicht: ab 2323 kg (EU)
0–100 km/h: in 9,1 Sekunden
Vmax: 188 km/h
Verbrauch: 9,8 l/100 km im Test

("Die Presse - Fahrstil", Print-Ausgabe, 26.09.2020)

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