Krimi

„London Burning“: Die Rache des kleinen Mannes

Der erste Band der Reihe ist ein gelungener Auftakt.
Der erste Band der Reihe ist ein gelungener Auftakt.(c) Rowohlt
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Die britische Hauptstadt ist der wahre Star in Parker Bilals spannendem Krimi. Sie zeigt viele Gesichter, keins davon hübsch.

Gäbe es den Titel „Europäische Hauptstadt des Mordes“, würde London die Konkurrenz wohl klar auf die Plätze verweisen. Zumindest im fiktiven Bereich. Keine andere europäische Großstadt hat die Fantasie von Kriminalautoren so beflügelt wie die Stadt an der Themse. Es mag der berühmte „Fog“ sein, der sich perfekt zur Verhüllung von Schandtaten eignet; oder die weitgehend intakte historische Kulisse, die auf gnadenlose Modernität prallt; oder der über die Jahrhunderte perfektionierte Hang zur Scheinheiligkeit, vor allem der bestimmenden Klasse.

Derzeit lassen sich die Verfasser von Krimis besonders gerne von den zahlreichen Bruchlinien inspirieren, die die Gesellschaft fragmentieren. Diese treten in London so deutlich zutage, dass man fast von Laborbedingungen sprechen könnte: zwischen Arm und Reich, zwischen den Ethnien, zwischen den Bildungsschichten. Dass die Energie, die dabei freigesetzt wird, keine positive ist, zeichnet Parker Bilal in seinem Krimi „London Burning“ nach, dem gelungenen Auftakt zu einer neuen Serie.

Auf der Baustelle des Projekts „Magnolia Quays“, einer weiteren Absteige für Superreiche am südlichen Themseufer, werden zwei Leichen unter einem Geröllhaufen gefunden. Was auf den ersten Blick nach einem schief gegangenen Streich von Jugendlichen aussieht, entpuppt sich bald als gezielte Tötung mit Anklängen an die Bestrafung im Rahmen des islamischen Scharia-Rechts.

Die Wurzeln der Morde reichen tief

Der Zufall will es, dass Calil „Cal“ Drake als erster am Tatort ist, ein genialer aber in Ungnade gefallener Londoner Polizist. Zusammen mit der ebenso klugen wie schlagkräftigen forensischen Psychiaterin Ray Crane legt Drake Schicht um Schicht den Hintergrund der mysteriösen Morde frei. Deren Wurzeln reichen weit tiefer als gedacht – sogar bis in Drakes und Cranes Vergangenheit zurück.

Der Krimi zeigt ein London, wie man es etwa auch aus der Serie „Luther“ kennt: verkommen und gnadenlos, schmierig und zornig. Eine Stadt, die die Superreichen anzieht wie die Blutbank die Vampire. Das ehrwürdige englische Robin-Hood-Prinzip wurde auf den Kopf gestellt: Es wird von den Armen genommen und den Reichen gegeben. Entsprechend groß ist die Sehnsucht nach irgendeiner Art von Moral, ihre Interpretation und Umsetzung werden allerdings oft Psychopathen überlassen. Quer durch ziehen sich die Spannungen zwischen den einzelnen Ethnien. Damit ringt auch Cal Drake, Sohn einer drogensüchtigen weißen Mutter und eines halbstarken schwarzen Vaters, ehemaliger Soldat und schon vor seinem tiefen Fall als „Minderheiten-Maskottchen“ der Londoner Polizei belächelt und/oder verachtet.

Parker Bilal weiß, wovon er schreibt. Der Name ist das Pseudonym, unter dem der britisch-sudanesische Autor Jamal Mahjoub Krimis verfasst. Mahjoub wurde in London geboren, wuchs aber in Khartum auf, lebte dann im dänischen Arhus und mittlerweile in Barcelona. Seinem Gefühl für die Stadt, die gleichzeitig Schauplatz und Star seines Romans ist, hat die Entfernung keinen Abbruch getan. „London Burning“ ist ein spannender Krimi mit komplizierten, aber sympathischen Personen, rund um deren persönliche Geschichten genügend Fragen offen bleiben, um sich schon auf den nächsten Band zu freuen.

Parker Bilal: „London Burning“, übersetzt von Ulrike Thiesmeyer, Rowohlt Taschenbuch, 496 Seiten, 12,40 Euro

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