Es wird bunt

Interior: Lasst Blumen sprechen

Flora und Fauna kommen zurück in die Wohnungen und Häuser – und das üppig. Was aber keineswegs bedeutet, dass es dann ausschauen muss, wie einst in Großmamas Salon.

Es wird bunt: Nach vielen Jahren gerader Linien, reduzierter Farbenspiele in Grau-Beige-Weiß und Holzmaserungen als verwegenstem Bekenntnis zur Ornamentik halten kräftige Farben, flauschige Materialien sowie jede Menge Flora und Fauna nun Einzug ins Zuhause. Und all das erdrückt keinesfalls die noble Eleganz, sondern sorgt für lebensfrohe Räume, in denen es schwerfällt, nicht beschwingt zu lächeln: drei Beispiele heimischer Interiorkunst.

Britisch-üppig

Einen stilvoll-charmanten Wohntraum hat beispielsweise Michael Niederer in einem Hietzinger Haus aus den 1920er-Jahren kreiert – anfangs nicht zur Freude aller Bewohner, wie er erzählt. „Das Haus gehört einem analytischen, puristischen Anwalt und seiner warmherzigen, lebensfrohen, russisch-stämmigen Frau, die nach dem Hauskauf leider lange Wochen im Spital verbringen musste – während ihr Mann eingerichtet hat“, erzählt der Inhaber und Chefdesigner von St. Corona Interiors.

Nach ihrer Genesung fand sich die Dame des Hauses in einem Domizil voller Neonröhren, Stahl und Milchglas wieder – und hatte gute Freunde, die Niederer um Hilfe baten. „Die Bauherrin hatte sich immer ein charmant-süßes Haus für ihre Familie gewünscht“, erinnert sich der Designer, und schritt mit viel Mut zu Mustern, Details und Farbe in der 280 Quadratmeter großen Villa zur Tat. Dafür wurden edle Tapetenrollen bei Cole & Son geordert, Stuckleisten handgefertigt, Designermöbel und Flohmarktstücke gesucht und zusammengetragen, Vorhänge mit Bordüren bestickt und eine ganze Bibliothek maßgefertigt.

»„Die Bauherrin wünschte sich Wärme, der Bauherr Purismus.“«

Michael Niederer

„Unsere Philosophie ist es, wirklich einen Lebensraum zu schaffen“, erklärt Niederer, der gemeinsam mit seinem Partner auch die Villa Antoinette am Semmering führt und gestaltet hat, „außerdem sind wir beide flohmarktsüchtig und kaufen dort ständig Stücke.“ In Hietzing zogen aus dieser Kollektion unter anderem ein antikes Schaukelpferd und eine 1950er-Jahre-Kommode ein. Und noch ein anderer Gegenstand mit Geschichte wurde in das Design integriert: ein spacig anmutender Drehsessel, der einst schon in der Studentenwohnung des Hausherren gestanden war.

Das hatte seinen Grund: Wie zuvor die Dame des Hauses hatte nun der Purist kurzerhand die Nerven geschmissen, als die sündhaft teuren Tapeten mit wandfüllenden Blumen- und Pflanzenmustern geliefert wurden. „Das war der Punkt, als ich ihm erklärt habe, dass er das Ganze jetzt als eine Art Sternerestaurant betrachten müsse, in dem ich der Koch bin“, erinnert sich Niederer lachend. Der Kompromiss war dann, dass das Schlafzimmer frei von Stuckleisten blieb – und der Space-Sessel seinen besonderen Platz bekam. Niederer sorgt aber auch bei weniger skeptischen Kunden für einen Kontrast aus alt und neu, schlicht und üppig.

In der Hietzinger Villa ist der bereits vorhandene Betonboden beibehalten worden, weil er wunderbar zum blumigen Ambiente passt. Und bei den Lampen wurden verspielte Schirmleuchten mit einem schlicht-schönen Luster von Galotti kombiniert. Herausgekommen ist ein Haus, in dem sich jetzt alle wohlfühlen und selbst der Hausherr späte Abbitte für seinen einstigen Widerstand geleistet hat: „Er hat mir nach der Fertigstellung einen wunderschönen Brief geschrieben“, erzählt Niederer. „In dem unter anderem gestanden ist, dass er bei dem Haus nur eines bereut: dass im Schlafzimmer keine Stuckleisten an der Decke sind.“

Ungarisch-fernöstlich

Auch Philipp Buxbaum war es wichtig, die Wohnwünsche beider Bauherren in deren Wohnung in Wien zu verwirklichen – und darüber hinaus deren jeweiligen kulturellen Hintergrund mit Wiener Elementen zu verbinden. „Das Apartment D ist als Zweitwohnung eines Ungarns aus Budapest und seiner vietnamesisch-stämmigen Frau gekauft worden, die sich an uns gewandt haben, damit sich 60 bis 70 Quadratmeter wie 130 anfühlen“, berichtet der Smartvoll-Architekt. Das war zunächst rein räumlich eine Herausforderung, von gestalterischen Elementen ganz abgesehen. „Es handelt sich um eine typische Wiener Gar­çon­ni­ère im Siebten, mit einem großen Zimmer, einem Kabinett, einem Vorraum, einem Bad und einem WC“, berichtet er.

»„Das hat ausgesehen wie ein Darwinscher Entwicklungsbaum.“«

Philipp Buxbaum

Die erste Aufgabe bestand darin, den Bauherren zuzureden, sich von jeder Menge Wände zu trennen. „Wir haben sie davon überzeugt, dass dieses luftige Raumgefühl nur möglich sei, wenn sie sich auf ein Ein-Raum-Kontinuum statt vier Kammern einlassen“, sagt Buxbaum. Nachdem das geklärt und alle Wände entfernt waren, wurden drei Funktionskuben in den nun entstandenen großen Raum hineingestellt: ein Kubus zum Kochen, einer zum Schlafen und einer zum Baden. Alle drei sind von weißen Einbau-Elementen für Stauraum umrahmt, die nicht bis zur Decke gehen und ohne Türen auch am Boden keine gänzlich abgeschlossenen Bereiche erzeugen. „Dadurch sind die Kuben Teil des einen Raums. Und die Decke und der Boden wirken wie nicht unterbrochene Ebenen – was die Zonen wie eine Spange zusammenhält und überall ein Gefühl von Großzügigkeit erzeugt.“

Luft nach oben

Neben dem reinen Raumkonzept war es dem Architekten auch wichtig, Elemente aus allen drei Kulturen in die Gestaltung einzubeziehen. „Dafür haben wir uns zusammengesetzt und aufgeschrieben, welche Materialien und Formen wir mit Ungarn, Vietnam, aber auch Wien verbinden“, berichtet der Architekt vom Entstehungsprozess. „Das hat irgendwann ausgesehen wie ein Darwinscher Entwicklungsbaum“, fügt er lachend hinzu. Das wohnliche Ergebnis: Der schöne, dunkle Fischgrätboden und die Kastenfenster als Wiener Elemente bilden den Hintergrund, weißer Marmor und Präsentationsnischen stehen für den Stil des Bauherren, der ein begeisterter Sammler primitiver Kunst ist und seine Holzstatuen sichtbar machen möchte.

Der vietnamesische Touch wird durch eine edle Foscarini-Leuchte (ihre Form erinnert an die dort getragenen Kegelhüte), vor allem aber durch den großflächigen Einsatz eines geblümten, bunten, vietnamesischen Seidenstoffs eingebracht, der in den szenisch beleuchteten Raumnischen, Aussparungen und an Küchenwänden Farbe in den sonst so reduzierten Raum bringt. Bestellt wurde er direkt in Vietnam, was beinah den Fertigstellungstermin gesprengt hätte, „weil die Pakete fast drei Monate am Seeweg unterwegs waren“, blickt Buxbaum zurück. Und dann wenig prätentiös in Wien eintrafen: „Das waren drei oder vier kleine Packerln aus Packpapier, die komplett mit Paketband umwickelt waren und ausgeschaut haben wie eine Drogenlieferung“, berichtet Buxbaum. Was aber dem Blumenstoff und seiner großen Wirkung in der eher kleinen Wohnung nichts anhaben konnte.

Ganz umdenken. Wände kamen weg, Kuben strukturieren nun die Wohnung.
Ganz umdenken. Wände kamen weg, Kuben strukturieren nun die Wohnung.(c) Smartvoll Architekten ZT KG

Wobei Blumenornamente keinesfalls immer klein und bunt daherkommen müssen – sondern auch als grafische Ornamente aus grauem Metall ihre Wirkung entfalten. Wie das aussehen kann, haben die Grazer Superunique-Architekten bei einer Gartenwohnung in der steirischen Hauptstadt gezeigt.

Steirisch-natürlich

Dort folgt die geblümte Form ganz klassisch der Funktion, denn zunächst einmal mussten auch bei diesem Projekt jede Menge Wände weichen – zumindest von den Plänen. „Wir sind mit der Gestaltung der Wohnung im Rohbau beauftragt worden“, berichtet Architekt und Geschäftsführer Peter Gaisrucker, „als die Trockenbauwände noch nicht vorhanden gewesen sind und wir entsprechend umplanen konnten.“ Das tat Gaisrucker dann gründlich: Die ursprünglich im Stiegenhaus vorgesehene Eingangstür wurde zu einer Wand im Bad umfunktioniert, und der Zugang stattdessen vom Garten aus geplant. Wodurch sich die zweigeschoßige Wohnung mitten in der Stadt nun fast wie ein Haus mit Garten anfühlt.

»„Das Muster steht für die Hauptelemente: die Natur und den Raum.“«

Peter Gaisrucker

Die größte Herausforderung im Inneren bestand letztendlich in der Stiege – die ließ sich nämlich bei aller Änderungsfreude nicht mehr verlegen, verlief mitten durch den Wohnbereich und hätte beiderseits mit Wänden verbaut werden sollen. Die fielen zwar auch schnell dem Zeichenstift zum Opfer – aber das warf die Frage auf, wie diese Stiege im Raum stattdessen abgesichert werden könnte.

Paravent statt Wand

„Nach langen Überlegungen war ein gestalterisches Element, eine Art Paravent aus Metall die Lösung“, berichtet Gaisrucker. Für dessen Gestaltung ließen sich die Architekten zunächst von der grafischen Form der Feinsteinfliesen im Bad inspirieren, deren Muster sich auch als stilisierte Blüten anordnen ließ. Das sorgt in den Ausschnitten des Metallparavents für schöne Lichtdurchlässe am Tag und besondere Effekte am Abend. Und verleiht der Wohnung ihre ganz eigene Signatur, indem sich die ausgestanzten Metallblumen immer wieder an den Wänden finden und so für ein durchgehendes Dekor in der ansonsten angenehm reduzierten Wohnung sorgen.

„Für uns hat dieses Muster das Zusammenspiel der Hauptelemente der Wohnung widergespiegelt: Einerseits die Natur durch diesen wirklich schönen Garten und andererseits den Raum“, erklärt Gaisrucker den Hintergrund für die Entstehung der Blütenornamentik. Die so gar nichts mit zarter Blümchenidylle zu tun hat, sondern sich als starkes Sym-
bol für schlichte Schönheit durch die Räume zieht.

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