Soll der Staat die deutsche Innenstadt retten?

Eine geschlossene "Galeria Karstadt Kaufhof".Filiale in Essen
Eine geschlossene "Galeria Karstadt Kaufhof".Filiale in Essen(c) imago images/Udo Gottschalk (PRESSEFOTOGRAFIE UDO GOTTSCHALK via www.imago-images.de)
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Immer mehr Stadtkerne drohen zu veröden. Corona verschärft das Problem. In der Not werden nun auch radikale Vorschläge gemacht.

Berlin. In Düsseldorf hat sich jüngst Seltsames zugetragen: Wütende Mitarbeiter streiften Boxhandschuhe über und prügelten auf eine überlebensgroße Skulptur von René Benko ein. Denn der Tiroler Milliardär und Eigentümer der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof lässt bis Monatsende 35 Filialen schließen. 2500 Mitarbeiter verlieren ihren Job und einige Innenstädte ihr Gesicht. Zumindest reißt das Aus für die Warenhäuser eine Lücke in die Stadtzentren.
Der Kahlschlag im Benko-Imperium ist nur die Spitze des Eisbergs. Es rollt eine gewaltige Pleitewelle an. 50.000 Geschäften in Deutschland droht der ewige Ladenschluss, schätzt der Handelsveband HDE. Das wird auch viele Stadtbilder verändern. Die schleichende Verödung zahlreicher Zentren treibt die Republik um. Am Dienstag veranstaltete Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) deshalb einen Krisengipfel im Kanzleramt. Vertreter von Politik und Handel wälzten Ideen, wie die Innenstadt wieder „Lieblingsplatz“ (Altmaier) werden kann.

„Wir kämpfen mit drei Tsunamis“

Die Lage ist ernst: „Wir kämpfen mit drei Tsunamis: dem Strukturwandel, der Digitalisierung und mit Corona“, sagt Boris Hedde, Chef des renommierten Instituts für Handelsforschung (IFH Köln) zur „Presse“. Oder anders: Zuerst machten die Einkaufszentren auf der grünen Wiese Konkurrenz und dann die Online-Versandriesen, deren Umsatz in der Coronakrise noch einmal sprunghaft angestiegen ist. Die Herausforderung für Deutschlands Innenstädte nennt Hedde „immens“. In den Köpfen spukt auch noch ein falsches, nämlich veraltetes Bild von der Aufgabe von Innenstädten. Die frühere „Versorgungsfunktion“ der Stadtzentren sei nämlich längst einer „Erlebnisfunktion“ gewichen. So sieht das Hedde. Deshalb müssten sich die Innenstädte wandeln, auf einen klugen Mix aus Gastronomie, Arbeitsplätzen, Wohnraum und kulturellen Anreizen setzen. Im Zweifel könnten die Innenstädte profitieren, die teils zu einer Ansammlung von Billigläden und Spielhallen verkommen.

Bloß: Welcher Kreative nur zum Beispiel kann sich Mieten in Bestlage leisten? In der Not wird auch radikal gedacht. Der Deutsche Städtetag ventilierte den Vorschlag, leer stehende Schlüsselimmobilien in den Innenstädten, zugespitzt formuliert, zu verstaatlichen. Bund und Länder sollten dazu einen „Bodenfonds“ bereitstellen. Teilweise geschieht das längst: Nordrhein-Westfalen spendiert seinen Kommunen 70 Millionen Euro Soforthilfe, um Leerflächen aufzukaufen und unter Wert beispielsweise an Start-ups weiterzuvermieten. Quer durch die Republik laufen kleinere Experimente, einzelne Städte erlassen Entrepreneuren anfangs die Miete oder knüpfen deren Höhe an den Umsatz. Das ist riskant. Die Gefahr besteht, dass sich die finanzschwachen Kommunen überheben und der Steuerzahler über Gebühr belastet wird. „Aber in einer Übergangsphase kann eine Subventionierung der Miete schon sinnvoll sein“, sagt Experte Hedde. Denn wenn der Leerstand einmal begonnen hat, dann lässt er sich kaum noch aufhalten. Dann wuchert er. Ein Teufelskreis.

Corona vermiest den Einkaufsbummel

Natürlich, das akute Problem, dass die Pandemie Einkaufsstraßen wochenlang leer gefegt hat und nun, gen Winter, auch wieder schleichend entvölkern könnte, bleib bestehen. Auch hier geistern zahlreiche Vorschläge durch die Republik. Dazu zählt eine frühere Auszahlung des Weihnachtsgelds, um den Einzelhandel anzukurbeln. Wobei Experten einwenden, dass es ja nicht an Geld mangelt, sondern an Zuversicht, weshalb die Sparquote steigt. Andere Städte experimentieren mit Gutscheinen oder Gratis-Öffi-Fahrten an verkaufsstarken Samstagen. Aber die Aufrufe der Politik zur Reduzierung der Kontakte, die Abstandsgebote und die Angst vor einer Infektion vertragen sich kaum mit einem sorglosen Einkaufsbummel samt Kaffeepäuschen. Wirtschaftsminister Altmaier drängt nun auf flexiblere Ladenöffnungszeiten, um den Andrang in den Geschäften zu entzerren. Er schlägt auch mehr verkaufsoffene Sonntage vor. Wieder einmal. Denn mit dem Vorstoß blitzte er schon im Frühjahr beim Koalitionspartner SPD ab. Stationäre Einzelhändler ruft er sinngemäß auf, die Digitalisierung nicht als Totengräber, sondern als Verbündeten zu sehen und verstärkt einzusetzen. Kunden könnten etwa in Onlineshops von Einzelhändlern einkaufen und die Bestellung im Laden abholen, weil sie tagsüber nicht zu Hause sind und kein Paket in Empfang nehmen können. Dass hier vielerorts Nachholbedarf besteht, ist auch unter Experten Konsens.
Aber alle Innenstädte wird das nicht retten. Manchmal fehlt schlicht die Kaufkraft vor Ort. Wo das der Fall ist, könne man das Schrumpfen der Innenstädte aber so organisieren, dass es möglichst „schmerzarm“ für die Gesellschaft verläuft, sagt Experte Hedde. Palliativmedizin für die Innenstädte sozusagen.

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