Buchbesprechung

„Homeland Elegien“: Der Terror und das Kruzifix

Ayad Akhtar richtet einen scharfen Blick auf das Phänomen Trump und rassistische Ressentiments.
Ayad Akhtar richtet einen scharfen Blick auf das Phänomen Trump und rassistische Ressentiments.(c) Vincent Tullo
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Die USA vor der Wahl präsentieren sich als zutiefst gespaltenes Land. In „Homeland Elegien“ schildert Ayad Akhtar, wie der 9/11-Terror alle Gewissheiten infrage stellte.

Was ist Realität, was Fiktion? Das fragen sich die Leser bei der Lektüre der „Homeland Elegien“, bei den amüsanten, tragikomischen, berührenden, schockierenden Episoden, die Ayad Akhtar zu einem Ganzen zusammengefügt hat. Kein Stückwerk, sondern ein komplexes Panorama. Schriftstellerbiografie, Groteske, Analyse: Vor dem Hintergrund des Porträts einer muslimisch-pakistanischen Immigrantenfamilie wechselt der Autor mühelos zwischen den Genres.

Da streut er Kritik an anti-islamischen Ressentiments und am Alltagsrassismus ein und dort am überschießenden Kapitalismus und Konsumismus als Triebfedern der US-Gesellschaft. Er erzählt eine klassische Aufsteigergeschichte, die durch den 9/11-Terror eine Wendung nimmt und das Dilemma, das eine doppelte Identität birgt, mit einem Schlag verschärft.

Dabei hatten es die Akhtars, ein Ärzteehepaar, in ihrer Jagd nach dem American Dream fast geschafft. Wenn auch nicht ohne Abgründe. Der Vater, ein anerkannter Kardiologe mit eigener Praxis, beseelt vom Wunsch, „dazuzugehören“, störrisch und geschlagen mit Spielsucht und einer selbstzerstörerischen Ader; die Mutter, zunehmend entfremdet, zerrissen, geplagt von der Sehnsucht nach der alten Heimat; der Sohn, Student an einem renommierten College mit hochfliegenden schriftstellerischen Ambitionen.

Trump als Randphänomen. Und dann tritt 1993 wie eine Eruption Donald Trump ins Leben des Vaters, Inkarnation des Playboys und amerikanische Symbolfigur, der über die Präsidentschaftswahl hinaus eine Faszination auf Akhtar Sr. ausüben sollte – so sehr, dass der Disput über ihn zu einer Art Sport zwischen Vater und Sohn wurde. Ein akutes Herzleiden in den Wirren einer Scheidung und einer Pleite hatte die Konsultation eines Spezialisten erforderlich gemacht: Also ließ Trump, ein schwieriger Patient, Vater Akhtar in sein Hotel in New York einfliegen. Eine Begegnung mit fatalen Folgen: Der Immobilienmogul pflanzte Allüren in den pakistanischstämmigen Arzt, mit Vorliebe für ein Luxus-Callgirl und einem Doppelleben, das spät ans Licht kommt.

Doch Trump ist lediglich Beiwerk, ein Randphänomen. Im Kern geht es um Vater und Sohn Akhtar, um die Assimilierung des Älteren und den Entwicklungsprozess des Jüngeren zum Intellektuellen und dessen existenzielle Nöte. Durch die Bekanntschaft mit einem schillernden, schwerreichen Investor gelangt der Junior zu Geld, als Theaterautor zu erstem Ruhm und solcherart in Kontakt zu elitären Kreisen. Dass er seinem Vater, einer medizinischen Koryphäe mit finanziellem Missgeschick, schließlich aus der Patsche helfen muss, ist eine ironische Pointe.

Wie Ayad Akhtar, der Pulitzerpreisträger und neuerdings Pen-Präsident der USA, diese Vater-Sohn-Geschichte verwebt mit dem muslimisch-pakistanischen Kosmos, dem sie entstammen, ist glänzend. Nach und nach rückt Pakistan als Sehnsuchtsort ins Zentrum – mit den Familienurlauben, den engen Banden zu Verwandten und Freunden. Da gibt es die einen, die ihre Religion in der neuen Heimat wiederentdecken, zurückkehren, sich radikalisieren und in Terrorverdacht geraten. Da gibt es den Onkel und Offizier, aus dem die Arroganz spricht, stolz auf die Terrorschläge, die die Welt vieler Muslime in den USA durcheinanderwirbelte und Gewissheiten infrage stellte.

Ayad Akhtar schildert jenen unheilvollen 11. September 2001, als eine Staubwolke New York einhüllt und er aus Angst vor Vergeltungsaktionen in die Hose uriniert. In einem Laden der Heilsarmee sucht er Zuflucht, und in seiner Panik entwendet er ein Kruzifix, das er als Ausweis des guten Amerikaners monatelang um den Hals tragen wird. Verschämt gesteht er dies seiner Geliebten und Schicksalsgenosssin – ein Bekenntnis als Akt der Befreiung.

Akhtar beschreibt in den dramaturgisch verdichteten Szenen und Skizzen der „Homeland Elegien“, die zwischen den Polen USA und Pakistan, zwischen Trump und Osama bin Laden oszillieren, zwei Welten, die im Zeitalter der Globalisierung zusammenrücken und zugleich auseinanderdriften – und die eine Immigrantenfamilie aufreiben.

(c) Claassen

Neu Erschienen

Ayad Akhtar
Homeland Elegien

Übersetzt von Dirk van Gunsteren
Claassen, 459 Seiten, 24,90 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2020)

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